Eine ganze Generation sei der Gefährdung einer Radikalisierung ausgesetzt, schreibt Ahmad Mansour. Sein soeben erschienenes Buch trägt ihren Namen: "Generation Allah". Der arabische Israeli, der unter anderem bei der Berliner Beratungsstelle gegen Radikalisierung "Hayat" arbeitet, ist jedoch kein Schwarzmaler. Er warnt vor Verharmlosung und Panikmache, aber auch vor einer oberflächlichen Debatte und Aktionismus. Auf knapp 300 Seiten verknüpft er Einzelschicksale mit konkreten Vorschlägen.
Fixierung auf vermeintlich religiöse Fragen
Fakten unterzieht er zunächst einer kritischen Prüfung: etwa die Zahlen derjenigen, die aus Deutschland ausgereist sind, um sich Terrormilizen wie dem "Islamischen Staat" (IS) anzuschließen. Offizielle Schätzungen lagen zuletzt bei 740 Ausreisen. Diese Zahlen seien "ganz sicher zu niedrig", schreibt Mansour. Er gehe eher von 1.500 bis 1.800 Personen aus. Was diese Ausreiser und die «Generation Allah» verbindet, ist laut seiner Analyse eine "Fixierung auf vermeintlich religiöse Fragen". Die Betroffenen sähen sich selbst als "stolze Muslime" und Teil der "Umma", der muslimischen Gemeinschaft der Gläubigen.
Allerdings: Religion diene dieser Gruppe fast "ausschließlich als elementarer Baustein ihrer Selbstkonstruktion". Glaube und Spiritualität spielten für viele junge Radikale eine untergeordnete Rolle. Auch die popkulturellen Wege, auf denen Terroristen neue Kämpfer rekrutieren, sind bereits beschrieben worden - nach Beobachtung Mansours identifizieren sich manche Nachwuchs-Dschihadisten mit den Salafisten "wie andere mit Comichelden".
Alltagsnähe und Sachlichkeit
Lesenswert ist das Buch vor allem wegen seiner Alltagsnähe sowie der deutlichen und sachlichen Worte. So betont Mansour einerseits, Radikalisierung sei nicht nur ein Produkt gescheiterter Integration: "Auch jene sind verführbar, deren Biografie sich von außen als Erfolgsgeschichte liest." Andererseits gäben Salafisten derzeit die "besseren Sozialarbeiter" ab: Sie holten Jugendlichen dort ab, "wo sie zuweilen verloren und orientierungslos stehen".
Schulen müssten besser über Religion aufklären, lautet eine Forderung Mansours. Auch brauche es Biografiearbeit, wenn sich beispielsweise palästinensische Kinder zum Nahost-Konflikt äußern - ein Vorschlag, der angesichts der Flüchtlingssituation noch an Gewicht gewinnt. Lehrer hätten ihm jedoch berichtet, dass offene Diskussionen über den Nahostkonflikt kaum möglich sind, schreibt der Experte, der für seine Arbeit gegen muslimischen Antisemitismus bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.
Gefahr Antisemitismus
Antisemitismus bleibe "eine der größten Gefahren, die mit dem Islamismus Hand in Hand gehen". Das habe sich etwa nach den Anschlägen von Paris zu Jahresbeginn gezeigt: Damals kursierten Videos im Internet, in denen Muslime als eigentliche Opfer des Terrors dargestellt würden - sie würden nun noch mehr stigmatisiert.
Vor diesem Hintergrund kritisiert Mansour auch "gutgemeinte, vermeintlich tolerante Formeln". Statt die Beteuerung "Der Islam gehört zu Deutschland" zu wiederholen, sollten Politiker über das Islamverständnis sprechen. Ein Islamverständnis, das mit den Werten der Demokratie vereinbar ist, gehöre tatsächlich zu Deutschland, "nicht aber das ideologisch aufgeladene". Hoffnung sieht Mansour insofern, als er 80 Prozent der potenziell Radikalen für erreichbar hält. Zunächst müsse die Gesellschaft jedoch einsehen, dass diese "unser aller Nachwuchs" seien. Er schlägt die Ernennung eines «Bundesbeauftragten zur Prävention und Bekämpfung ideologischer Radikalisierung» vor, ebenso wie langfristige und flächendeckende Konzepte.
Blinder Aktionismus führe nicht weiter, betont der Psychologe: Wer sich gegen Rassismus und Salafismus wende, sei nicht automatisch ein guter Aufklärer - das gelte für muslimische Vereinigungen ebenso wie für Sozialprojekte. Wichtiger sei das offene Wort: "Muslime sind keine geschützte Tierart, sondern diskursfähige Bürgerinnen und Bürger mit Verstand, die ernst genommen werden müssen".