domradio.de: Wenn ein Flüchtling bei uns in Deutschland angekommen ist, die Anspannung sich legt: Kommt dann alles hoch, was er erlebt hat?
Dr. Dietrich Munz (Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer): Die Betroffenen beginnen unter ihren Erlebnissen zu leiden, sie haben Schlafstörungen und finden keine Ruhe. Sie haben Konzentrationsstörungen. Es sind viele verschiedene Symptome, die wir der Krankheit der posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen. Die Betroffenen bedürfen dann dringend einer Behandlung.
domradio.de: Wie kommen Kinder mit dieser Situation zurecht?
Munz: Auch für Kinder ist das sehr schwierig. Etwa 20 bis 30 Prozent der hier ankommenden Kinder haben eine posttraumatische Belastungsstörung. Diese Kinder sind oft nach außen auffällig: Sehr unruhig und unkonzentriert. Sie werden außerdem von Alpträumen gequält und finden keine Ruhe. Oder sie ziehen sich emotional zurück und nehmen kaum noch Kontakt zu anderen Menschen auf. Die Kinder wissen nicht, dass sie krank sind. Da müssen wir helfen und den Eltern deutlich machen, dass sie dringend einer Behandlung bedürfen.
domradio.de: Sie bräuchten also psychotherapeutische Hilfe. Aber wie sind wir in Deutschland darauf eingestellt?
Munz: Wir sind im Moment sehr schlecht darauf eingestellt. Aktuell erhalten nur maximal 10 Prozent der Flüchtlinge, die eine Hilfe brauchen würden, eine solche. Sie werden in Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer betreut. Diese Zentren sind gut ausgestattet und haben erfahrene Kollegen. Da können im Moment etwa 4.000 Betroffene pro Jahr behandelt werden. Bei der jetzigen Zahl von Flüchtlingen, die hier ankommen, müssen wir aber von mindestens 40.000 Flüchtlingen ausgehen, die wir versorgen müssen. Die Zentren für Folteropfer und Flüchtlinge sind auszubauen und dort einzurichten, wo Flüchtlinge in Heimen untergebracht sind.
domradio.de: Zeigen sich Flüchtlinge denn offen gegenüber ein psychotherapeutischen Behandlung? Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Munz: Das wissen wir im Moment bei den Flüchtlingen etwa aus Syrien noch wenig. Es ist dringend erforderlich, dass die Ärzte bei der Aufnahmeuntersuchung auch schauen, ob die Flüchtlinge psychisch erkrankt sind. Oder dass die Sozialarbeiter in den Aufnahmeeinrichtungen beobachten, wer psychisch auffällig ist, um dann die Betroffenen darauf hinzuweisen, dass es hier bei uns Hilfsangebote gibt. In den Herkunftsländern gibt es oft keine Psychotherapie.
Das Interview führte Christian Schlegel.