DOMRADIO.DE: In gut einem Monat, am 26. Mai, ist die Europawahl. Viele sprechen davon, dass diese Europawahl eine besondere Europawahl sei, zukunftsweisend für Europa. Sehen Sie das auch so?
Prof. Thomas Sternberg (Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken / ZdK): Ja. Ich glaube, es ist eine ganz, ganz wichtige Europawahl. Weil für mich völlig unverständlicherweise in Europa wieder ein nationales Denken hoffähig wird, von dem man geglaubt hat, das gehöre zu den Gespenstern des 20. Jahrhunderts. Nationales Denken funktioniert nicht mehr. Jeder, der auch nur ein bisschen von Politik begreift und sich ansieht, woher seine eigenen Produkte kommen, wird bemerken, dass man mit nationaler Politik nicht mehr operieren kann.
Aber es besteht die Gefahr, dass populistische Bewegungen tatsächlich mehr Zulauf bekommen. Umso mehr müssen wir deutlich machen, dass Europa etwas ist, was uns verbindet und was uns gemeinsam geprägt hat - mit einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Kultur.
DOMRADIO.DE: Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, zur Europawahl zu gehen und zu wählen?
Sternberg: Ich denke, wir dürfen den Populisten in Europa nicht das Feld überlassen. Es gibt eine ganz einfache Faustregel: Kleine radikale Parteien haben rein mathematisch immer dann viel Erfolg, wenn die Wahlbeteiligung gering ist. Deswegen sollte man zur Wahl gehen und dann eine Vorzugswahl unter den demokratischen Parteien vornehmen, die garantieren, dass dieses Europaprojekt einer stärkeren Einheit weitergeht. Und das hat auch etwas mit Christentum zu tun.
Die Zeiten, dass wir als Kirche - sowohl als Laien wie als Priester - Wahlempfehlungen für Parteien gegeben haben, sind zum Glück vorbei. Aber man kann sehr wohl vor Parteien warnen. Und ich glaube, dass radikale Parteien von links und von rechts eine Gefahr für die Demokratie sind und dass die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa die Demokratien in diesen Ländern und auch den europäischen Gedanken massiv bedrohen und bedroht haben.
Das sieht man, wenn man sich nur ein bisschen in den letzten Jahren umsieht. Deshalb warnen wir ganz offen davor, eine rechtspopulistische Partei wie die AfD zu wählen.
DOMRADIO.DE: Und wenn so eine Partei das Christliche Abendland auf seine Segel schreibt und das für sich reklamiert, könnten Christen nicht in Versuchung kommen auf dieses Boot aufzuspringen?
Sternberg: Ich glaube jeder, dem das Christliche wichtig ist, wird bei einem bloßen Blick auf die Behauptung das Christliche Abendland zu verteidigen, bemerken, dass die Methoden, mit denen man das verteidigen möchte, höchst unchristlich sind.
Das Interview führte Johannes Schröer.