Der Papst ist als erstes katholisches Kirchenoberhaupt überhaupt zu Gast in Myanmar. Und das in einem überaus schwierigen Moment in der Geschichte des südostasiatischen Landes. Denn: das Militär im mehrheitlich buddhistischen Myanmar geht äußerst brutal gegen die muslimische Minderheit der Rohingya vor, die USA sprechen gar von ethnischer Säuberung. Millionen Rohingya sind ins benachbarte Bangladesch geflohen und leben dort unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen in Flüchtlingslagern.
domradio.de: Gleich nach der Ankunft stand ein privates Treffen des Papstes mit dem Militärchef auf dem Programm. Das Militär hat Myanmar über ein halbes Jahrhundert regiert und de facto noch sehr viel Macht. Welche Bedeutung hat da dieses Treffen?
Anne Preckel (Radio Vatikan): Der Papst ist angekommen und hat gleich ins Herzstück der Krise gestoßen. Dabei war die Begegnung nachträglich und ganz kurzfristig ins Besuchsprogramm eingefügt worden. Der Kardinal von Rangun hatte darauf gedrängt. Der Militärchef und der Papst trafen sich mittags, inhaltlich wurde darüber wenig bekannt. Allerdings kann man die Bedeutung dieses Treffens kaum hoch genug bewerten. Weil General Min Aung Hlaing, Myanmars Militärchef, der Mann ist, durch dessen Hände ganz viele Fäden laufen, was die Sicherheitsfragen betrifft, die Grenzsicherung, Wirtschaftsfragen und eben auch den Umgang mit den verschiedenen Volksgruppen. Auch Staatsrätin Aung San Suu Kyi kann an ihm nicht vorbei, wenn sie Reformen im Land umsetzen will.
domradio.de: Offiziell hieß es, der Papst und der General hätten sich ausgetauscht über die große Verantwortung der Autoritäten in Myanmar in diesem Moment des Übergangs. Was könnte das denn im Einzelnen heißen?
Anne Preckel: Der Papst dürfte mit dem General über die Rückführung der Rohingya gesprochen haben. Die hatte das Militär ja bis zuletzt abgelehnt; gemeinsam mit fanatischen Buddhisten ist das Militär schließlich für die Vertreibung der muslimischen Minderheit verantwortlich. Wenn sich der Papst tatsächlich für mehr Rechte der Rohingya einsetzen will, muss er das also mit diesem General besprechen. Ein schwieriges Unterfangen, keine Frage, eine harte Nuss, die Franziskus da knacken muss. Aber es ist schon positiv, dass dieses Treffen überhaupt zustande gekommen ist.
domradio.de: Morgen dann die mit Spannung erwartete Zusammenkunft zwischen dem Papst und der mittlerweile umstrittenen Außenministerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Die beiden kennen sich ja schon.
Anne Preckel: In der Tat. Aung war zuletzt im Mai im Vatikan, als beide Länder einen Botschafteraustausch vereinbart haben. Die Papstreise nach Myanmar stärkt diesen Kontakt weiter. Der Vatikan hat natürlich großes Interesse, das Land auf seinem Weg in die Demokratie zu unterstützen. Und natürlich unterstützt Franziskus mit seinem Besuch – überhaupt dem ersten Papstbesuch in Myanmar - Aung San Suu Kyis Reformbemühungen und ihr Programm der nationalen Versöhnung und Einheit. Die Unterstützung kann sie gut gebrauchen, sie will ja mehr Mitsprache und Rechte für die Minderheiten verwirklichen. Das wiederum ist Nationalisten und Militärs ein Dorn im Auge; sie wollen nämlich die Gewinne aus den Geschäften etwa mit dem großen Nachbarn China nicht mit den Minderheiten teilen. Sie wollen im Grunde ein rein buddhistisches Land ohne störende und revoltierende Minderheiten.
domradio.de: Warum ist Aung San Suu Kyi aktuell in den Augen vieler internationaler Beobachter so fragwürdig?
Anne Preckel: Sie ist aus Sicht von Menschenrechtlern umstritten wegen ihres verzögerten Einsatzes für die Rohingya. Darauf hat man in der Tat einige Zeit warten müssen. Auch Myanmars Kirche, die Aung im Großen und Ganzen unterstützt, hatte das zuletzt kritisiert. Kardinal Bo, der Erzbischof von Rangun, hat das in einem Interview in diesen Tagen durchblicken lassen. Er hat allerdings auch deutlich gemacht, dass Aung so manches Opfer bringt, um im Land heute überhaupt so etwas wie eine Demokratisierung voranzutreiben. Sie sei in dieser Hinsicht zu einer ewigen Gratwanderung gezwungen, so hat Kardinal Bo das formuliert.
domradio.de: Die Frage ist natürlich: Wird Franziskus die Gewalt gegen die Rohingya direkt ansprechen - und in welcher Form genau? Die katholische Ortskirche hatte ihn nämlich vor Reisebeginn gebeten, das Wort „Rohingya" gar nicht erst in den Mund zu nehmen. Warum?
Anne Preckel: Die Bischöfe Myanmars haben wohl einfach Angst, dass sich dann eben erneut der Hass radikaler Kräfte gegen die Rohingya entlädt. Nachdem die UNO Empfehlungen zu den Rohingya gegeben hatte, war es ja erneut zu Übergriffen gekommen auf die Angehörigen der muslimischen Minderheit und manch ein Beobachter sah das in einem direkten Zusammenhang. Die Schlagzeilen zum Drama der Rohingya sind ja regelrecht hochgekocht und die internationale Gemeinschaft rührt sich auch. Das stört natürlich die Fundamentalisten, die sehen das als Einmischung. Darüber hinaus muss man auch sagen, dass es in Myanmar noch andere Minderheiten gibt, die Hilfe brauchen, die aber ihrerseits Unruhe stiften. Aung hat hier wirklich alle Hände voll zu tun. Die Kirche wünscht sich, dass der Papst alle in Betracht zieht. Sicherlich denkt man auch strategisch, denn wenn die Rohingya jetzt tatsächlich zurückkommen sollen nach Myanmar, dann muss man natürlich sehen, dass man das möglichst diplomatisch und ohne viel Aufheben verwirklicht.
domradio.de: Gibt es für den Papst überhaupt einen gangbaren Weg, die Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, ohne sich einen weiteren Dialog mit den Machthabern zu verbauen?
Anne Preckel: Na ja, Franziskus ist ja kein Politiker, sondern der Papst. Das heißt, er folgt dem Evangelium, tritt für die Würde und Rechte eines jeden Menschen ein - unabhängig von seiner religiösen und ethnischen Zugehörigkeit. Mit dieser Grundsatzbotschaft wird er auch in Myanmar auftreten, wird sich dabei kaum nur an eine Gruppe wenden. Man muss auch bedenken, dass diese Botschaft in Asien ja nicht so selbstverständlich ist. Da gibt es ja hinsichtlich der Menschenrechte so einige Schieflagen, denken wir an Sklavenarbeit und Menschenhandel, an systematische Abtreibungen und Staaten wie etwa China, die sich über den Menschen stellen.
domradio.de: Franziskus hat bei früheren Gelegenheit schon von „Rohingya" gesprochen.
Anne Preckel: Das stimmt, Franziskus hat sich wiederholt zur Krise geäußert und dabei auch den Begriff Rohingya benutzt. Zum Beispiel hat er im August bei einem Angelusgebet ganz klar von Verfolgungen der Rohingya gesprochen und volle Rechte für sie verlangt. Insofern hat er hier schon Klartext gesprochen, seine Position ist klar. In Myanmar hieße volle Rechte für die Rohingya etwa auch die Staatsbürgerschaft, das haben auch die Vereinten Nationen verlangt und Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat Schritte in diese Richtung signalisiert. Hier liegt die eigentliche Sprengkraft. Denn die nationalistischen Kräfte in Myanmar auf Seiten der Militärs und der radikalen Buddhisten sehen das natürlich ungern.
Andererseits muss man sagen, dass es auch unter den Rohingya radikale Kräfte gibt beziehungsweise gab, die möglicherweise Kontakte zum IS oder zu Al Quaida pflegen, hier gilt es also zu unterscheiden auch mit Blick auf eine Staatsbürgerschaft. Dazu hat auch der Papst bisher nichts gesagt, in Myanmar wird er aber sicher jedweder Form von Extremismus eine Absage erteilen.
domradio.de: Franziskus selbst hatte sich bei seiner Abreise bedeckt gehalten, nur gesagt, er wünsche sich eine "fruchtbare Reise" - wie könnte eine "fruchtbare Reise" aussehen?
Anne Preckel: Zwei Begegnungen des Papstes sind beim Besuch in Myanmar von größter Bedeutung: die mit dem Oberbefehlshaber der Armee, General Min Aung Hlaing heute und die mit dem Obersten Buddhisten Rat am Mittwoch. Der stellt von seiner Autorität im Land her so eine Art Vatikan in dem buddhistischen Myanmar dar und ist gegen fundamentalistische Kräfte. Dieser Rat hat etwa auch die Verfolgung der Rohingya verurteilt. Der Papst sucht hier also einen Schulterschluss und er will damit den Dialog und ein friedliches Miteinander der Religionen vorantreiben. Hier muss man auch bedenken, dass es ein regelrechtes Netzwerk buddhistischer Klöster im Land gibt, die Bildungszentren sind und die großen Einfluss haben. Hier lässt sich also viel bewirken, wenn es um die Eindämmung radikaler Tendenzen gehen soll.
Das Interview führte Hilde Regeniter.