Raif Badawi erhält den Sacharow-Preis 2015

Ikone der Meinungsfreiheit

Die drakonische Strafe gegen den Blogger Raif Badawi bleibt unwiderruflich - seit Jahren ist er in Saudi-Arabien inhaftiert. Nun erhält er den Sacharow-Preis für geistige Freiheit. Menschenrechtler betonen: Badawi ist kein Einzelfall.

Autor/in:
Anna Mertens und Paula Konersmann
Badawis Ehefrau Ensaf Haidar unterstützt ihren Mann / © Georg Hochmuth (dpa)
Badawis Ehefrau Ensaf Haidar unterstützt ihren Mann / © Georg Hochmuth ( dpa )

"Warum bist du im Gefängnis, Papa? Stimmt es, dass es daran liegt, dass du eine Website gegründet hast, die zur sozialen und politischen Diskussion aufruft?" In einem Brief an seinen Vater stellt der kleine Doudi die Frage, die viele umtreibt. Der Blogger Raif Badawi ist seit mehr als drei Jahren in seiner Heimat Saudi-Arabien inhaftiert, verurteilt zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben.

Die ersten 50 Schläge gegen Badawi wurden im Januar in Dschidda vollstreckt - öffentlich, auf einem Platz vor der Al-Jafali-Moschee, nach dem Freitagsgebet. Die nachfolgenden Hiebe wurden verschoben, zunächst wegen medizinischer Bedenken, dann ohne Begründung. Menschenrechtler und Politiker weltweit forderten immer wieder einen sofortigen Stopp der Strafe und die Freilassung des Bloggers.

Sacharow-Preis des EU-Parlaments ehrt Einsatz für Menschenrechte

Nun erhält er den Sacharow-Preis für geistige Freiheit, wie das EU-Parlament in Brüssel am Donnerstag bekanntgab. Mit der Auszeichnung unterstreiche das Parlament den Wert der Meinungsfreiheit als "fundamentales Menschenrecht", sagte Präsident Martin Schulz. Er appellierte zudem an die saudischen Autoritäten, Badawi unverzüglich freizulassen. "Dasselbe sollte für alle anderen gelten, die in Saudi-Arabien und andernorts verurteilt wurden, weil sie ihre Meinung frei geäußert haben."

Der Sacharow-Preis wird seit 1988 jährlich vom EU-Parlament an Persönlichkeiten und Institutionen vergeben, die sich besonders für Menschenrechte, den Schutz von Minderheiten, die Achtung des Völkerrechts und die geistige Freiheit einsetzen. Die Auszeichnung erfolgt am 16. Dezember in Straßburg.

Vorwurf gegen Badawi: Beleidigung des Islams

Der 31-jährige Badawi ist gebürtiger Saudi. Vor mehreren Jahren gründete er in seiner Heimat das Internetportal "Die saudischen Liberalen". Es sollte eine Plattform mit Berichten und Analysen über seine Heimat sein, kritisch und offen. Dabei scheute er nicht, politische und religiöse Entscheidungen oder Institutionen in dem streng islamischen Königreich zu kritisieren.

Für die absolute Monarchie war das zu viel: Badawi wurde vorgeworfen, den Islam auf seinem Portal beleidigt zu haben. 2012 verhafteten ihn die Sicherheitsbehörden, seine Website wurde geschlossen. Gegen Badawi wurde ein Verfahren wegen "Apostasie", Abtrünnigkeit vom Islam, eingeleitet. Eine Straftat, die im Königreich mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Seither versuchten Menschenrechtler, Demonstranten und Politiker, das Königreich von einer Vollstreckung der Strafe abzubringen - durch Proteste und unzählige Aufrufe im Internet.

"Schwarze Nachrichtenlöcher" ohne unabhängige Information

Und Badawi ist kein Einzelfall, betonen Aktivisten. "Immer wieder werden Menschen drangsaliert, verfolgt oder gar getötet, weil sie angeblich religiöse Werte verletzen", sagt Amnesty International. Die Strafe gegen Badawi sei nur die Spitze des Eisbergs, "ein Auswuchs der systematischen Unterdrückung jeder abweichenden Meinung", so der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (ROG), Christian Mihr.

Laut ROG nutzen immer mehr Länder das Verbot von Gotteslästerung, um gegen unliebsame Berichterstatter vorzugehen. Neben Saudi-Arabien gehören dazu auch der Iran, Bangladesch oder Kuwait. Zudem schaffen Terrorgruppen wie der "Islamische Staat" (IS) im Nahen Osten "schwarze Nachrichtenlöcher", so die Organisation: Von dort gelange keinerlei unabhängige Information mehr an die Außenwelt.

Badawi inzwischen Ikone der Meinungsfreiheit

Badawi ist unterdessen zu einer Ikone der Meinungsfreiheit geworden, unlängst gründete seine Ehefrau Ensaf Haidar eine Stiftung zur Förderung von Meinungsfreiheit. Im Juni nahm sie den "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle im Namen ihres Mannes entgegen; im November wird beim Bundespresseball der erste "Raif Badawi Award for courageaous journalists" vergeben, den sie mit der International Media Alliance ins Leben gerufen hat.

Haidar lässt nicht nach im Kampf um ihren Mann, gegen Folter und die Todesstrafe. Auch sie selbst wurde mehrfach ausgezeichnet. Anfang Oktober erschien ihr Buch "Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens". Die internationale Unterstützung gebe ihm Kraft, hat sie wiederholt in Interviews versichert. Trotzdem, sagt sie, sei die Angst immer da - die Angst vor den nächsten 50 Schlägen.


Quelle:
KNA