Ratzinger-Schüler sieht Franziskus-Pontifikat zweideutig

"Ein Hiatus zwischen Reden und Tun"

Nach dem Tod Benedikts XVI. vor einem Jahr erhoffte sich Wolfgang Beinert ein freieres Tun und Handeln von Papst Franziskus. Doch nach wie vor stehe dieser zwischen zwei Lagern und könne sich nicht für eine Seite entscheiden.

Papst Franziskus (l.) umarmt den emeritierten Papst Benedikt XVI. am 8. Dezember 2015 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus (l.) umarmt den emeritierten Papst Benedikt XVI. am 8. Dezember 2015 im Vatikan / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Woran machen Sie es fest, dass Papst Franziskus in seinem Pontifikat bis zum Tode Benedikts eher Rücksicht auf seinen Vorgänger genommen hat? 

Wolfgang Beinert, Theologe, emeritierter Professor und Publizist, in Pentling am 20. Januar 2023. / © Barbara Just (KNA)
Wolfgang Beinert, Theologe, emeritierter Professor und Publizist, in Pentling am 20. Januar 2023. / © Barbara Just ( KNA )

Prof. Dr. Wolfgang Beinert (emeritierter Ordinarius für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Regensburg und Schüler Joseph Ratzingers): Das hängt damit zusammen, dass die allgemeine Ideologie besteht, ein Papst müsse bruchlos und nahtlos auf den anderen folgen und immer dasselbe sagen wie der vorhergehende.

Es muss oder darf also kein Blatt zwischen beide passen, weil die Lehre der Kirche kontinuierlich und beständig ist. 

DOMRADIO.DE: Inwiefern hat Papst Franziskus das denn erfüllt? Es waren ja schon doch einige Auffälligkeiten, die Franziskus von Benedikt unterschieden haben. 

Prof. Dr. Wolfgang Beinert

"Tatsächlich hat sich auch Franziskus vorsichtig, behutsam, aber doch deutlich auch von seinem Vorgänger unterschieden."

Beinert: Selbstverständlich sind es zwei verschiedene Persönlichkeiten, die sich natürlich selber darlegen, wie jeder Mensch das macht. Und tatsächlich hat sich auch Franziskus vorsichtig, behutsam, aber doch deutlich auch von seinem Vorgänger unterschieden.

Für mich am auffälligsten war das Bild der Zurücknahme der Privilegien, die die Piusbrüder für die sogenannte Tridentinische Messe bekommen haben. Das war ja eine deutliche Gegenposition zu der, die Benedikt wenige Jahre vorher eingenommen hatte. 

DOMRADIO.DE: Sie sprechen auf das Apostolische Schreiben "Traditionis custodes" an. Damit hat Franziskus noch zu Lebzeiten Benedikts die Feier der Alten Messe sehr stark eingeschränkt. Manche haben das gar als Frontalangriff auf das Ratzinger-Erbe verstanden. Kann man das so interpretieren? 

Beinert: Frontalangriff, das ist eine Sprache, die da wohl nicht angemessen ist. Aber es war eine deutliche Absetzung seiner Position, die ja schon damals, als Benedikt das Privileg gab, deutlich in der Kirche zu spüren war. Also hat er eigentlich einer Mehrheitsmeinung entsprochen. 

Pontifikalamt in der alten Form des Römischen Ritus in Herzogenrath / © Jörg Loeffke (KNA)
Pontifikalamt in der alten Form des Römischen Ritus in Herzogenrath / © Jörg Loeffke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Als vor einem Jahr Benedikt gestorben ist, haben Sie sich erhofft, dass Papst Franziskus sich künftig zu manchen Themen deutlicher äußern wird, als es bis dahin der Fall war. Hat sich diesbezüglich seit dem 31. Dezember 2022 im Agieren und Treffen von Entscheidungen bei Franziskus etwas getan? 

Beinert: Ich denke schon. Nicht spektakulär, aber die klare Fortsetzung des Gedankens einer synodalen Kirche, die ja dann im Herbst durch den ersten Teil der Bischofssynode verwirklicht worden ist, dürfte doch nicht ganz dem Denken und der Ekklesiologie Benedikts entsprochen haben.

Der vor wenigen Tagen geschriebene Brief des Kardinals Fernandez über die Segnung von Homosexuellen und anderen irregulären ehelichen Verhältnissen, wie es heißt, das hätte möglicherweise Franziskus zu Lebzeiten von Benedikt auch nicht vorgenommen. 

DOMRADIO.DE: Aber dennoch bleibt hier ein gewisser Beigeschmack, denn an der Lehre der Kirche wurde nichts geändert. Wäre es nicht wünschenswert gewesen, dass Franziskus sich vielleicht noch deutlicher geäußert hätte?

Beinert: Zu diesem Schreiben muss man sagen, das dieses so ein bisschen ein Placebo ist. Es scheint sich etwas zu ändern, aber das eigentlich Wesentliche des Problems der Homosexualität ändert sich nicht. 

Wenn die Kirche irgendwie anerkennt, dass Homosexualität eine Anlage ist, die der Mensch eben hat oder nicht hat, also letzten Endes irgendwie von Gott gegeben ist und wenn Sexualität immer auf eine andere Person gerichtet ist, dann muss man doch sagen, dass, wenn Homosexualität irgendwie natürlich ist, dann muss auch die Ausübung der Vollzug der Homosexualität gegeben sein. Und da wehrt sich ja der Vatikan immer noch mit Händen und Füßen. 

DOMRADIO.DE: Sind es eher einige Mitarbeiter im Vatikan, die sich sperren, oder kommt es doch direkt von Franziskus, dass er sich nicht so deutlich äußert oder zu Entscheidungen durchringt, wie es sich einige von ihm erhoffen?

Prof. Dr. Wolfgang Beinert

"Er sagt viele Dinge aus, die dann einen Vollzug fordern, den er aber nicht leistet."

Beinert: Da müssen Sie im Vatikan nachfragen. Auf jeden Fall beobachtet man ja auch in anderen Dingen bei Franziskus, dass zwischen Reden und Tun ein Hiatus (Kluft; Anm. d. R.) ist. Er sagt viele Dinge aus, die dann einen Vollzug fordern, den er aber nicht leistet. 

DOMRADIO.DE: Er bleibt uneindeutig, sagen Sie. 

Beinert: Nicht uneindeutig, sondern in seinem Handeln und Tun sind Differenzen. Nun kann es sein, dass Franziskus auf diese etwas strategische Methode versucht, etwas in die Kirche zu bringen, aber sehr behutsam.

Denn es ist nicht zu leugnen, dass es zwei Lager in der Kirche gibt. Beide haben bedeutende Vertreter und der Papst steht mittendrin. Und er kann sich wohl nicht ganz klar für die eine oder andere Seite entscheiden. Das macht dieses ganze Pontifikat natürlich ein bisschen zweideutig. 

DOMRADIO.DE: Das Erbe Benedikts ist nach seinem Tod vor einem Jahr wohlwollend, aber auch kritisch gewürdigt worden. Verblassen seine Spuren jetzt in der Kirche mehr und mehr oder was wird auf Dauer von diesem deutschen Papst übrig bleiben? 

Beinert: Das kann man nicht sagen. Da ist ein Jahr einfach zu kurz. Denn es ist ja nicht so, dass der Kalender die Ereignisse bestimmt, sondern die vollziehen sich unabhängig davon und man braucht da längere Zeiträume. Nach zehn Jahren kann man dann etwas sagen, aber jetzt ist es zu kurz. Ein Jahr ist wenig Zeit. 

Prof. Dr. Wolfgang Beinert

"Die letzte Entscheidungsbefugnis über das, was die Synode erarbeitet hat, hat er allein."

DOMRADIO.DE: Wird sich Franziskus künftig noch stärker von seinem Vorgänger absetzen, als dies zuvor der Fall gewesen ist oder bleibt sein Kurs so wie bislang? 

Beinert: Das müssen Sie mich in einem Jahr fragen. Erst nach dem Abschluss der Synode über die Synodalität wird man das sagen können. Denn es ist ja so: Die letzte Entscheidungsbefugnis über das, was die Synode erarbeitet hat, hat er allein. 

Inwieweit er dann die Vorschläge der Synode aufnimmt oder nicht aufnimmt, das würde das Material liefern, um Ihre Frage zu beantworten. Aber die kann man im Moment nicht beantworten.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR