Das gelte auch für jenen Antisemitismus, der sich als Kritik an Israel oder den USA tarne, ergänzte Schuster in einem Beitrag für die "Jüdische Allgemeine" (Donnerstag). Anlass für die Äußerungen sind die jüngsten antisemitischen Proteste in zahlreichen europäischen Städten, darunter Berlin.
"Wenn radikalisierte Demonstranten nicht von Anfang an in die Schranken gewiesen werden, wird sie das ermutigen", warnte Schuster. "Unsere kostbare Versammlungsfreiheit darf aber nicht missbraucht werden, um Hass auf einen Staat oder eine Religion zu schüren."
"Verpflichtung zur Mäßigung"
Hier seien auch die muslimischen Verbände und Imame gefordert. Selbst wenn sie nur eine begrenzte Zahl der Muslime in Deutschland erreichen, können sie doch mäßigend einwirken." Dazu seien sie "jetzt verpflichtet". Insbesondere wenn sie selbst zu Demonstrationen aufriefen, trügen sie auch Verantwortung für deren Ablauf.
Der Antisemitismus, der zuletzt "in erschreckender Weise sichtbar" geworden sei, sei ein Problem "für ganz Europa, nicht nur für die jüdische Gemeinschaft", betonte der Zentralratspräsident. Es zeige sich eine "tief sitzende Intoleranz, die vor Gewalt nicht zurückschreckt und menschliche Opfer in Kauf nimmt".
Aufklärung gefordert
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Mark Dainow, erinnerte beim Jahrestreffen des "Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus" an Angriffe auf ein koscheres Restaurant in Amsterdam und einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Göteborg. Es gebe keinen gerechtfertigten Antisemitismus und ihn mit "Israel-Kritik" zu rechtfertigen, sei falsch. Warum werde diese pauschale Neuwortschöpfung, die nur für Israel existiere, überhaupt akzeptiert, gab Dainow zu bedenken.
Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin, sprach sich für mehr Informations- und Aufklärungsangebote und Richtlinien aus, wie im Alltag mit Antisemitismus umgegangen werden sollte.
Nationales Konzept
Der Islamexperte Ahmad Mansour forderte ein nationales Konzept für den Umgang mit Antisemitismus. Muslimische Jugendliche würden in den Schulen häufig nicht erreicht. Judenfeinde seien selbstbewusster geworden und hätten weniger Hemmungen, sich zu äußern, sagte der Psychologe und arabischstämmige Deutsch-Israeli im Deutschlandfunk.
In bestimmten Bezirken etwa in Berlin bestimmten Menschen mit Migrationshintergrund die Atmosphäre. "Das sind ihre Bezirke und natürlich reagieren sie aufgrund von ihren Einstellungen und teilweise Sozialisation und Erziehungen auf Juden sehr allergisch und manchmal greifen sie sogar die Menschen an, und das ist etwas, was wir nicht akzeptieren sollten."
"Links, rechts und in der Mitte"
Den aktuellen Antisemitismus hält er für herkunftübergreifend. "Man findet ihn links, rechts und in der Mitte der Gesellschaft." Bei Flüchtlingen müsse man differenzieren: Er sei vor allem bei denjenigen verbreitet, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus eine Art der Sozialisation war.
"Das heißt, wir müssen über Palästinenser, die seit 30, 40 Jahren in Deutschland leben, wir müssen über Jugendliche, die aus der Türkei kommen, wo Verschwörungstheorien sehr stark vertreten sind, wir müssen über arabische Länder reden und nicht nur diejenigen, die 2015 gekommen sind, obwohl diejenigen, die 2015 gekommen sind, meistens aus Syrien, auch starke antisemitische Bilder mitgebracht haben."