Rechte Gewalt steigt dramatisch an - Politiker beunruhigt

Extrem gewalttätig

Die Kriminalität der rechtsextremen Szene in Deutschland ist dramatisch gestiegen. Von Januar bis Ende August habe das Bundeskriminalamt schon fast 8.000 rechte Straftaten registriert, berichtete der Berliner "Tagesspiegel". Das sind über 20 Prozent mehr als in den ersten acht Monaten 2005.

 (DR)

Die Kriminalität der rechtsextremen Szene in Deutschland ist dramatisch gestiegen. Von Januar bis Ende August habe das Bundeskriminalamt schon fast 8.000 rechte Straftaten registriert, berichtete der Berliner "Tagesspiegel". Das sind über 20 Prozent mehr als in den ersten acht Monaten 2005. Damals zählte die Polizei 6.605 Delikte. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2004 zeichnet sich sogar ein Anstieg um 50 Prozent ab. Wenig überrascht über den "nur scheinbar starken Anstieg" zeigt sich im domradio-Interview Holger Kuhlig von der "Amadeu Antonio-Stiftung". "Gewalt gab es schon immer - sie ist nur sichtbarer geworden."

Die Zahlen entstammen den Antworten des Bundesinnenministeriums auf monatliche Anfragen der Fraktion Die Linke/PDS zu rechtsextremer Kriminalität. Als Reaktion wird nun ein "Demokratiegipfel" gefordert. Gleichzeitig nimmt laut Zeitungsbericht auch die Brutalität der Szene weiter zu. Von Januar bis August zählte die Polizei bundesweit 452 rechte Gewalttaten, bei denen 325 Menschen verletzt wurden. In den ersten acht Monaten 2005 waren es 363 Gewaltdelikte und 302 Verletzte. Die vom Ministerium genannten Zahlen werden sich laut Zeitung wahrscheinlich noch deutlich erhöhen, da die Polizei in der Regel viele Fälle nachmelde.

Politiker beunruhigt
Innenministerium und Politiker aller Parteien zeigten sich beunruhigt. Im Ministerium werde vor allem mit Sorge registriert, dass die Zahl der rechten Gewalttaten im August gegenüber Juli "nicht unerheblich gestiegen" sei, wie es am Montag in einer Stellungnahme hieß. Im August stellte die Polizei 67 rechte Gewaltdelikte fest, 27 mehr als im Juli.

Dabei scheint die Fußball-WM die Kriminalität der rechten Szene kaum gedämpft zu haben, auch wenn sich NPD und Neonazis auf Grund der schwarz-rot-goldenen Begeisterung im Land mit provokativen Auftritten in der Öffentlichkeit zurückhielten. Im Juni und Juli zählte die Polizei jeweils mehr als 1.000 rechte Delikte. Zudem sei die Zahl der Gewalttaten im Juni mit 67 genauso hoch gewesen wie im August.

In SPD und Linkspartei wurden Stimmen laut, die angesichts einer rapide wachsenden rechten Gefahr einen "Demokratiegipfel" forderten. Nach dem Vorbild des Integrationsgipfels sollten demokratische Parteien, Glaubensgemeinschaften, Gewerkschaften, Verbände und Sportvereine auch eine Strategie gegen den Rechtsextremismus überlegen, so der Vorsitzende des Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD). Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) regte die Bildung einer "unabhängigen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus" an.

Diskussion um "Demokratiegipfel"
Bei Union und Grünen stieß die Idee eines "Demokratiegipfels" auf Widerstand. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte, er setze auf eine Kombination aus konsequenter Strafverfolgung, Hilfe für Szene-Aussteiger und stärkere politische Bildung. Nach Ansicht von Grünen-Chefin Claudia Roth sollte die Regierung statt "Gipfelei" die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte gegen Rechts sicherstellen. Für den FDP-Innenexperten Max Stadler macht ein Demokratiegipfel nur Sinn, wenn er nachhaltige politische Aufklärung befördert.

Am Montag hatte die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, ein hartes Vorgehen gegen antisemitische und rechtsradikale Attacken gefordert. Der Vorfall in der Sekundarschule in Parey sowie der Abbruch eines Kreisklasse-Spiels in Berlin wegen antisemitischer Parolen der Zuschauer zeige, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus in einigen Schichten der Bevölkerung fest verankert seien, sagte sie in München. Wer dennoch weiter von bedauerlichen Einzelfällen spreche, verharmlose eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft.

"Bagatellisierende Haltung der Politik"
Deutliche Kritik übte der Zentralrat am Umgang der Politik mit den rechtsextremistischen Zwischenfällen. Nicht diese Exzesse allein seien der Skandal, sondern vielmehr die bagatellisierende Haltung der Politik", erklärte Knobloch. Die übliche "Betroffenheitsdebatte" von Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Medien sei empörend und bedeute eine Verhöhnung all jener, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus engagierten.

Die Politik und verantwortliche Gruppen der Gesellschaft hätten trotz vielfacher Mahnungen die zahlreichen Vorfälle der vergangenen Jahre "bewusst verschlafen". Knobloch forderte eine parteiübergreifende Initiative mit vielfältigen Strategien gegen Rechtsextremismus.

Amadeu-Antonio-Stiftung will Initiativen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ausbauen
Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat den weiteren Ausbau von Initiativen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gefordert. Es sei «beschämend und absurd», aus haushaltstechnischen Gründen bewehrte Projekte nicht weiter zu finanzieren, sagte die Vorstandsvorsitzende Anetta Kahane am Dienstag dem epd in Berlin. Die nach einem Todesopfer rassistischer Gewalt benannte Stiftung engagiert sich seit Jahren für zivilgesellschaftliche Projekte zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit.

Wie der Berliner "Tagesspiegel" am Dienstag berichtete, ist die Anzahl rechter Straftaten in den ersten acht Monaten dieses Jahres um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen. Demnach registrierte das Bundeskriminalamt zwischen Januar und Ende August fast 8.000 rechte Delikte. Zugleich habe auch die Brutalität der rechten Szene zugenommen, hieß es. So seien von Januar bis August dieses Jahres bundesweit bei 363 rechten Gewaltdelikten 302 Menschen verletzt worden.

Als Reaktion auf die neuen Zahlen forderten Politiker von SPD und Linkspartei einen "Demokratiegipfel" oder eine "unabhängige Beobachtungsstelle". Dies wies Kahane als wenig sinnvoll zurück. Es gebe bereits das "Bündnis für Toleranz und Demokratie", in dem alle wesentlichen Kräfte der Zivilgesellschaft vereint seien. Es komme jetzt darauf an, in die bestehenden Instrumente zu investieren.
(kna,dr)