Martin Luther hatte vor rund 500 Jahren mit seinen Thesen zur Rechtfertigung des Menschen vor Gott die Trennung der westlichen Christenheit in evangelische und katholische Kirche ausgelöst. Die Geschichte der religiösen Idee beginnt mit dem Apostel Paulus vor fast 2.000 Jahren.
Mitte des ersten Jahrhunderts: Paulus schreibt im Römerbrief, einem Kerntext der Bibel, Gott biete dem fehlerhaften Menschen seine Gnade ohne Bedingungen an: «So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.»
Der Kirchenvater Augustinus (um 354-430) spitzt die Gedanken von Paulus zu: Der Mensch kann nichts aus eigener Kraft zu seiner Erlösung beitragen. Wer die Gnade Gottes empfängt, bleibt das Geheimnis Gottes, bilanzierte der Bischof an seinem Lebensende.
Thomas von Aquin (um 1225-1274), Denker und Theologe, vermittelt zwischen Extrempositionen: Gott schenkt Menschen die Freiheit, sich Verdienste um ihr Seelenheil zu erwerben. Rechtfertigung wird zu einem kreativen Prozess, an dem der Mensch aktiv mitwirken kann.
In der Volksfrömmigkeit des Mittelalters tritt eine von der Kirche geförderte Lohn-Leistungs-Ethik in den Vordergrund. Christen hoffen darauf, sich durch gute Werke wie Wallfahrten, Heiligenverehrung oder Almosengeben einen Platz im Himmel sichern zu können.
Im Spätmittelalter kommt es auf Grund des wachsenden Bildungsstands zu immer mehr Beschwerden gegen die Kirche. Beklagt wird die Kluft zwischen kirchlicher Praxis und biblischer Botschaft. Auf Kritik stößt vor allem der Ablasshandel, mit dem Rom gegen Geld, das vor allem für den Bau prächtiger Kirchen verwendet wurde, Menschen von ihren Sünden losspricht.
Martin Luther (1483-1546) veröffentlicht im Jahr 1517 seine 95 Thesen. Um sich Verdienste vor Gott zu erwerben, seien keine guten Werke nötig, erklärt Luther unter Berufung auf Paulus. Die Gnade sei ein Geschenk Gottes, das «allein der Glaube» bewirke. Man könne Gott nicht bestechen, als wäre er «ein Trödler und Tagelöhner, der seine Gnade und Huld nicht umsonst geben wollte». Luthers Lehre verbreitet sich in Europa und löst die Reformation aus.
Das Konzil der katholischen Gegenreformation in Trient verurteilt 1547 die Thesen Luthers. Zur Erlösung seien sowohl der Glaube als auch «gute Werke» nötig. Dennoch deckt sich die katholische Rechtfertigungslehre weitgehend mit der protestantischen Position. Allerdings wird im Katholizismus die Rolle der Kirche als Mittler zwischen Gott und den Menschen durch Abendmahl oder Beichte betont.
16. bis 20. Jahrhundert: Vor allem die Rechtfertigungslehre markiert weiterhin die Grenze zwischen Katholiken und Protestanten.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) öffnet sich die katholische Kirche der Ökumene.
1967: Beginn des offiziellen internationalen lutherisch-katholischen Dialogs.
1972: In Malta stellt eine lutherisch-katholische Studienkommission einen weitgehenden Konsens in der Rechtfertigungslehre zwischen Katholiken und Protestanten fest.
März 1994: Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen und der Lutherische Weltbund legen einen ersten Entwurf der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vor. Es folgen weitere Entwürfe 1994 und 1996.
Januar 1998: In einem Votum warnen mehr als 140 deutschsprachige evangelische Theologieprofessoren vor der Unterzeichnung des Papiers. Es gebe keinen «Konsens in Grundwahrheiten» widersprechen sie dem Vatikan und dem Lutherischen Weltbund. Zudem wird eine Verwässerung des lutherischen Bekenntnisses befürchtet. Bis Ende 1999 schließen sich fast 250 Professoren dem Protestschreiben an.
Juni 1998: LWB-Rat stimmt der Gemeinsamen Erklärung zu. In einer Antwortnote bejaht die römisch-katholische Kirche zwar grundsätzlich, dass ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht. Zur Rücknahme von Lehrverurteilungen aus der Reformationszeit nimmt die katholische Kirche jedoch nicht Stellung.
Ende 1998: Fortbestehende Irritationen sollen mit einem Zusatztext zur Gemeinsamen Erklärung ausgeräumt werden, der so genannten Gemeinsamen offiziellen Feststellung.
Oktober 1999: Feierliche Annahme der Gemeinsamen Erklärung zur
Rechtfertigungslehre: Die Gemeinsame offizielle Feststellung wird von LWB-Präsident Christian Krause und Kardinal Edward Cassidy, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, sowie weiteren Kirchenrepräsentanten unterzeichnet.
September 2000: Die Römische Glaubenskongregation unter Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger bescheinigt in der Verlautbarung «Dominus Iesus» den Kirchen aus der Reformation, sie seien nicht Kirchen «im eigentlichen Sinn». Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kritisiert das Papier als «Rückschlag für die Ökumene».
April 2001: Der katholische Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) unterzeichnen in Straßburg die «Charta Oecumenica». Darin verpflichten sich die christlichen Kirchen in Europa unter anderem, für die Einheit der Kirchen auf dem Kontinent einzutreten. Als Selbstverpflichtung hat die Charta keinen lehramtlich-dogmatischen oder kirchenrechtlichen Charakter.
Mai 2003: In Berlin findet der erste Ökumenische Kirchentag (ÖKT) statt. Für Schlagzeilen sorgt der katholische Priester Gotthold Hasenhüttl. Er feiert mit Katholiken und Protestanten gemeinsam eine katholische Messe und teilt die Eucharistie an alle Anwesenden aus. Hasenhüttl wird vom damaligen Trierer Bischof Reinhard Marx vom Priesteramt suspendiert.
April 2005: Der EKD-Ratsvorsitzende Huber gratuliert Papst Benedikt XVI. zu seiner Wahl. Kardinal Joseph Ratzinger habe in der Vergangenheit theologische Beiträge geleistet, die weit über die katholische Kirche hinaus die Christenheit insgesamt und die säkulare Öffentlichkeit beeindruckt und vielen Menschen Orientierung gegeben hätten.
September 2005: Die EKD kündigt an, sich nicht mehr an einer Überarbeitung der von katholischer und evangelischer Seite herausgegebenen Einheitsübersetzung der Bibel beteiligen zu wollen. Damit gibt es keine neue deutschsprachige offizielle ökumenische Bibelübersetzung.
Juli 2006: Der Weltrat Methodistischer Kirchen schließt sich der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre an.
Juli 2007: Mit einer Erklärung über die Einzigartigkeit der katholischen Kirche bekräftigt der Vatikan die Positionen aus der Verlautbarung «Dominus Iesus». Der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber nennt die Erklärung «ökumenisch brüskierend».
Januar 2009: Der Papst nimmt die Bischöfe der Pius-Bruderschaft wieder in die katholische Kirchengemeinschaft auf und eröffnet damit den Weg für eine innerkatholische Aussöhnung mit den schärfsten Kritikern der Ökumene.
Juli 2009: Ein internes EKD-Papier zeichnet ein kritisches Bild der katholischen Kirche unter Benedikt XVI. Zudem beklagt der Verfasser Thies Gundlach fehlende Fortschritte im ökumenischen Dialog seit dem Jahr 2000.
Oktober 2009: Nachdem das Papier in die Öffentlichkeit gelangt ist, sagt die Bischofskonferenz das turnusgemäß angesetzte Treffen zwischen ihr und der EKD ab. Stattdessen treffen sich Vertreter beide Seiten zu einem Spitzengespräch. In einer gemeinsamen Erklärung geben sich die Teilnehmer davon überzeugt, «dass das beschädigte Vertrauen wiederhergestellt werden kann und wird».
Oktober 2009: Mit einem klaren Bekenntnis zum ökumenischen Dialog hat die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, ihr Amt angetreten. Sie wolle das Gespräch zwischen den beiden großen Kirchen in Deutschland stärken, «weil uns mehr verbindet als uns trennt», sagte Käßmann in Ulm.