Der Domkapellmeister der Regensburger Domspatzen, Roland Büchner, hat schwere Vorwürfe gegen seinen Amtsvorgänger Georg Ratzinger erhoben. "Es herrschte ein System der Angst", sagte Büchner der Wochenzeitung "Die Zeit" über die Zeit des Papst-Bruders als Chorleiter. "Das muss ans Licht, auch wenn es weh tut", forderte Büchner, der seit 1994 Chorleiter ist.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, warf dem früheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller vor, eine umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bei den Domspatzen versäumt zu haben.
Gewalt nicht verharmlosen
Büchner warnte davor, die Gewalttaten gegen 547 ehemalige Chorknaben zu verharmlosen. Zwar habe es sich meist nicht um Missbrauch, sondern um Schläge gehandelt. "Das waren aber nicht 'nur' Ohrfeigen, sondern regelrechte Misshandlungen. Es wurde gewütet. Es waren Körperverletzungen." Ratzinger sei "impulsiv, ja fanatisch" gewesen, wenn er seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchsetzte". Bei Proben sei er unerbittlich gewesen. Danach konnte er der sanftmütigste Mensch der Welt sein. Manche Schüler sahen ihn als Vorbild, andere fürchteten ihn als Schläger."
Am Dienstag hatte der für die Aufklärung der Missbrauchsfälle zuständige Rechtsanwalt Ulrich Weber in Regensburg den Abschlussbericht einer zweijährigen Untersuchung vorgelegt. Daraus geht hervor, dass bei den Domspatzen jahrzehntelang Schüler geschlagen und sexuell missbraucht wurden. Rund 500 Sänger wurden Opfer von körperlicher Gewalt, 67 waren von sexueller Gewalt betroffen.
Büchner kam 1994 ins Amt des Chorleiters. Sämtliche Fälle von Gewalt, die der Abschlussbericht des Bistums Regensburg auflistet, lagen in der Zeit davor. Auf die Frage, ob er Kenntnis von Gewalttaten hatte, sagt Büchner: "Ich wusste, da war was." Er bereue es, "nicht offensiv auf die Opfer zugegangen" zu sein und nicht "noch stärker auf umfassende Aufklärung gedrängt" zu haben. "Mit dem Abschlussbericht ist die Aufklärung geleistet, folgen muss Aufarbeitung."
Kritik an Kardinal Müller
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Rörig, kritisierte unterdessen den früheren Regensburger Bischof und heutigen Kurienkardinal Müller: "Müller hat stets von Einzelfällen gesprochen, aber die strukturellen Versäumnisse nicht untersucht", sagte Rörig der "Passauer Neuen Presse" (online). "Es wäre den Betroffenen zu wünschen, dass er sich wenigstens jetzt für die verschleppte Aufarbeitung entschuldigen würde."
Zugleich lobte Rörig zugleich das Regensburger Vier-Säulen-Konzept zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Dazu gehörten die Aufklärung wie durch den Abschlussbericht, aber auch Hilfen, Anerkennung und die wissenschaftliche Aufarbeitung. "Der Aufarbeitungsprozess in Regensburg sollte jetzt Vorbild für den christlichen Bereich sein, aber auch für alle anderen Organisationen, denen Kinder und Jugendliche anvertraut sind", sagte Rörig. Er forderte zudem höhere Mindeststrafen für sexuellen Missbrauch von Kindern. Der Mindeststrafrahmen von drei Monaten sei zu gering bemessen.
Die frühere Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann (SPD, sagte am Dienstagabend im Deutschlandfunk, es habe bei den Domspatzen über die Jahre hinweg alleine sehr viele Fälle von sexueller Gewalt gegeben, von Einzelfällen könne man nicht mehr sprechen. In dem Chor habe ein "ziemlich brutaler Erziehungsstil" mit viel psychischer sowie sexueller Gewalt geherrscht: "Das ist nicht etwas, was so aus Versehen mal von einem passiert", betonte die ehemalige Familienministerin.