Mit Blick auf die Prügelvorwürfe verwies der 91-Jährige darauf, Schläge und Ohrfeigen seien damals "in allen Erziehungsbereichen wie auch in den Familien üblich" gewesen. "Bei den Domspatzen hatten sie keine andere Bedeutung als in den genannten Bereichen auch", so Georg Ratzinger, der von 1964 bis 1994 den weltberühmten Knabenchor leitete.
Der vom Bistum Regensburg beauftragte Rechtsanwalt Ulrich Weber hatte am Freitag einen Zwischenbericht zu den Prügel- und Missbrauchsvorwürfen gegeben. Er sprach von mindestens 231 Fällen von körperlicher Gewalt; in 62 Fällen kam es demnach zu sexuellen Übergriffen "vom Streicheln bis zur Vergewaltigung". Weber schätzt, dass von den 2.100 Kindern in der Vorschule des Chors in Etterzhausen und Pielenhofen zwischen 1953 und 1992 rund ein Drittel geschlagen wurde.
Rechtsanwalt Weber: "Grobe Unverhältnismäßigkeit"
Der Jurist ließ keinen Zweifel daran, dass seiner Ansicht nach auch Ratzinger über die Züchtigungen im Bilde war. Er habe zumindest im Jahr 1987 von Gewalt in der Vorschule erfahren. Weber betonte zudem, selbst wenn man die Prügel im zeitlichen Kontext der damaligen Erziehung sehe, zeige sich eine "grobe Unverhältnismäßigkeit".
Ratzinger räumte in dem Interview ein, von regelmäßigen und "sehr heftigen" Ohrfeigen durch den langjährigen Vorschuldirektor Johann Meier gewusst zu haben. Er habe aber niemals beobachtet, wie Meier einen Jungen "unter den Tisch geprügelt" habe und auch nie Spuren von Verletzungen an einem der Schüler gesehen. Meier war 1992 nach Kritik an seinen laut Ratzinger «rauen pädagogischen Methoden» in den vorzeitigen Ruhestand getreten.
Ratzinger: Kein "System der Angst"
Der langjährige Chorleiter widersprach zudem Webers Einschätzung, bei den Domspatzen habe ein "System der Angst" geherrscht. "Dies ist nicht die Wahrheit", sagte er der Zeitung. Aus Begegnungen mit früheren Domspatzen sehe er, "dass die Jahre im Chor für sie neben allem Mühseligen, das zu jeder Ausbildung gehört, eine Zeit innerer Prägung und Reifung gewesen ist, für die sie bis heute dankbar sind".
An einen Ort der Angst und der Gewalt würde man nicht "in dieser Weise zurückkehren", so Ratzinger.