Religiöse und kulturelle Konsequenzen des EU-Austritts

Brexit verändert europäische Gesellschaft

Seit Freitag steht fest: Großbritannien möchte die EU verlassen. Dies hätte Auswirkungen auf das kulturelle, politische und auch das religiöse Gleichgewicht der Union. Eine Prognose zum Profil der EU mit 27 Mitgliedsländern.

Autor/in:
Franziska Broich
Großbritannien lässt die EU im Regen stehen / © Alex Hofford (dpa)
Großbritannien lässt die EU im Regen stehen / © Alex Hofford ( dpa )

Wenn Großbritannien der EU den Rücken kehrt, hat das nicht nur Konsequenzen für den Handel. Es verändert auch das sprachliche, religiöse und kulturelle Gleichgewicht in der europäischen Gemeinschaft. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch sagte am Dienstag, Europa sei aufgrund seiner Geschichte und Kultur ein Kontinent geworden. Artikel 22 der EU-Grundrechtecharta schützt sogar ausdrücklich die "Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen".

Nach Brexit sinkt EU-Anteil der Protestanten

Unter dem Aspekt der Religionszugehörigkeit könnte man bei einem möglichen "Brexit" auch von einem "Prexit" sprechen. Denn mit einem Ausscheiden der Briten aus der EU würden auch viele Protestanten die Union verlassen. Die Anzahl der EU-Länder, in denen überwiegend protestantische Christen leben, wie etwa in Dänemark, Schweden, Finnland, Estland und Lettland würde damit sinken. Ein "Prexit" würde im Umkehrschluss auch dazu führen, dass die Katholiken ihren Einfluss ausweiten. Bereits jetzt stellen sie mehr als die Hälfte der EU-Bevölkerung. In jedem der 28 EU-Mitgliedstaaten sind sie vertreten, wenn auch in einigen nur als kleine Minderheit.

Mit einem "Brexit" würde ein Teil der religiösen Vielfalt schwinden, denn Großbritannien vereint viele Weltanschauungen. Neben etwa 300.000 Juden und 2,7 Millionen Muslimen leben hier laut einer Erhebung der EU-Statistikbehörde Eurostat aus dem Jahr 2012 auch etwa 817.000 Hindus, 423.000 Sikhs und zwischen einer und vier Millionen Buddhisten.

Auswirkungen im EU-Parlament

Im Europaparlament blieben mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs 73 Sitze leer. Die Briten sind nach den Deutschen und Franzosen die drittgrößte Gruppe im EU-Parlament. Dementsprechend hätte ihr Verlassen auch große Auswirkungen auf die verschiedenen Fraktionen. Die Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR) verlöre 21 Abgeordnete und damit ihren Status als drittgrößte Kraft im Parlament. Während bei der EKR bis jetzt die Briten die größte nationale Gruppe bildeten, wären es dann die Polen.

Zudem müsste sie einen neuen Vorsitzenden wählen. Dies wäre auch der Fall in der Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (EFDD), deren Ko-Vorsitzender Nigel Farage ist. Sie würde zur schwächsten Kraft im Parlament nach Marine Le Pens Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF). In der EFDD würden die Italiener künftig die größte nationale Gruppe stellen. Politisch würde der Austritt Großbritanniens also zu einer Verschiebung der Macht von Nord- nach Süd- und Osteuropa führen.

Englisch bleibt Kommissionssprache

An der Sprachenvielfalt würde ein Brexit hingegen wenig verändern. Am Dienstag bestätigten die Juristen der EU-Kommission der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), dass Englisch auch im Fall eines Austritts Großbritanniens offizielle Amtssprache der EU bleiben werde. Eine Änderung müsste der Rat einstimmig beschließen. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich, da Englisch auch offizielle Landessprache in Irland und Malta ist. Auch ein Großteil der Kommunikation in den EU-Institutionen läuft auf Englisch ab. Den Status einer der meistgesprochenen drei Muttersprachen in der EU würde Englisch jedoch wahrscheinlich verlieren. Belegte es laut einer Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2012 gemeinsam mit Italienisch noch Platz zwei nach Deutsch, wird es nun wahrscheinlich vom Französischen überholt.

Auch kulturell ginge der EU mit einem "Brexit" einiges verloren. 27 Gebäude, Orte und Landschaften in Großbritannien stehen auf der UNESCO-Weltkulturerbe-Liste. Darunter sind zum Beispiel Stonehenge, die Kathedrale von Canterbury mit der Abtei Sankt-Augustin und der Sankt-Martins-Kirche sowie die Grenze des Römischen Reichs, der Hadrianswall zwischen Newcastle und Solway Firth. Mit Großbritannien verliert Europa darüber hinaus auch eine breite Palette von Kultur-Ikonen. William Shakespeare, die Beatles, Rowan Atkinson als Mr. Bean und die mehrfache Grammy-Gewinnerin Adele sind nur einige Beispiele.

Dass die vielfältig bestehenden kulturellen und geistigen Bande auch in Zukunft beibehalten, genutzt und ausgebaut werden, dafür sprach sich der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Reinhard Marx, nach der Entscheidung der Briten aus. "Europa ist mehr als die Europäische Union", betonte er.


Quelle:
KNA