DOMRADIO.DE: Warum geht das Eintreten der Kirchen für Religionsfreiheit über das eigene Interesse hinaus?
Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Erzbischof von Bamberg und Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz): Wir als Kirchen haben ja den Auftrag Jesu, den Menschen das Leben in Fülle zu vermitteln. Zum Leben in Fülle gehört, dass jeder Mensch weiß, was es bedeutet, eine Religion zu haben, zu wählen, sie zu leben und auch zu wechseln. Und wenn die Menschen ihre Religionsfreiheit und damit ihre Menschenrechte wahrnehmen können, dann ist das auch immer das Beste für alle Menschen, für Friede, Gerechtigkeit und gute Entwicklung.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch gesagt, dass das menschliche Leben ohne Religionsfreiheit fundamental beschädigt wird. Wie sehen Sie das?
Schick: Weil Religion zum Wesenskern des Menschen gehört. Er muss Religion, die er spürt und wie er mit Gott verbunden sein will, leben können. Und wenn er das nicht kann, dann wird er in seinen menschlichen Möglichkeiten und Befähigungen auch beschnitten, und das schädigt sein Menschsein. Dann kann er auch nicht in der Gesellschaft leben, wirken und sich für das Gemeinwohl einsetzen.
DOMRADIO.DE: Inwieweit hat sich die Situation in einigen Ländern verschlechtert?
Schick: Ja, leider Gottes hat sie sich in einigen Ländern verschlechtert, auch in China zum Beispiel. Was Nordkorea angeht, wissen wir sehr wenig. Wir haben auch zunehmende Probleme in Afrika, zum Beispiel im Norden Nigerias. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Aber wie auch immer: Wir müssen alle Akteure in der Politik, in der Kirche, im gesellschaftlichen Leben und im Arbeitsleben dazu ermuntern, auch in gewisser Weise zwingen, dass sie die Religionsfreiheit fördern, weil sie damit letztlich Gutes für die Menschen und auch für die Gesellschaft tun.
DOMRADIO.DE: Welchen Eindruck hatten Sie denn heute bei der Vorstellung des Berichts zur Religionsfreiheit. Gibt er Anlass zur Sorge?
Schick: Der Bericht gibt Anlass zur Sorge, weil sich in den letzten Jahren schon die Religionsfreiheit eigentlich zum Schlechteren, zum Negativen entwickelt hat. Wir haben etliche Staaten in der Welt, die sehr autoritär regiert werden. Und dann ist die Freiheit der Religion zusammen mit anderen Freiheiten, zum Beispiel Meinungsäußerung et cetera, freie Bewegung, freie Versammlung, eingeschränkt. Das darf man nicht zulassen, um der Menschen willen, aber auch um der Gesellschaft willen. Hier muss auch von verschiedenen Akteuren der Politik in den Kirchen und Religionsgemeinschaften, etwas getan werden, damit dieses Recht auf Religionsfreiheit und damit die Menschenrechte gefördert werden.
DOMRADIO.DE: Ist die Religionsfreiheit in den säkularen Staaten des Westens gefährdet?
Schick: Gefährdet würde ich jetzt nicht sagen. Aber auch hier gibt es Tendenzen, zum Beispiel bei uns. Wir haben vermehrt antisemitische Äußerungen, aber auch Angriffe auf Synagogen. Ich muss keine Beispiele nennen, sie sind bekannt. Wir haben auch Angriffe gegen Muslime, aber auch Angriffe gegen christliche Kirchen. All das muss uns besorgt machen, und wir müssen für eine tolerante Gesellschaft werben. Zur Toleranz gehört auch die Toleranz der verschiedenen Religionen und damit die Religionsfreiheit.
DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung hat einen eigenen Beauftragten für Religionsfreiheit. Welche Verantwortung haben denn die Politiker, sich für diese Religionsfreiheit einzusetzen?
Schick: Zunächst einmal ist es ja sehr anerkennenswert, dass die Bundesregierung und auch das Parlament sich um die Religionsfreiheit in Deutschland, aber auch weltweit, bemüht. Und der Beauftragte tut das Mögliche und sorgt auch dafür, dass in den politischen Diskursen, auch internationalen Diskursen, dieses Anliegen der Religionsfreiheit eingebracht wird, zum Beispiel bei Wirtschaftsverhandlungen, bei Auslandsbesuchen. Ob die Bundeskanzlerin oder andere Minister: Dass das Thema Menschenrechte und Religionsfreiheit zur Sprache gebracht wird, das ist ein Fortschritt, und man kann nur wünschen, dass viele andere Länder in Europa diesem Beispiel folgen.
Das Interview führte Dagmar Peters.