Fragen und Antworten zu libanesischen Glaubensgemeinschaften

Religionen im Libanon

Der Libanon steckt in der Krise, die durch die verheerende Explosion am Hafen von Beirut noch weiter verschärft wurde. Im Land herrscht ein kompliziertes System, das von institutionalisierten Glaubensgemeinschaften gestützt wird. Ein Überblick.

Autor/in:
Mey Dudin
Eine Frau aus der libanesischen Gemeinschaft hält eine Kerze während einer Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der massiven Explosion im Hafen von Beirut / © Michel Euler (dpa)
Eine Frau aus der libanesischen Gemeinschaft hält eine Kerze während einer Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der massiven Explosion im Hafen von Beirut / © Michel Euler ( dpa )

Was sind die wichtigsten Religionsgruppen im Libanon?

In dem Land sind 18 Glaubensgemeinschaften staatlich anerkannt, von denen die meisten Christen, muslimische Sunniten oder Schiiten sind. Die Maroniten sind die größte christliche Gruppe. Ihr Namensgeber ist der syrische Eremit Maron. Den katholischen Papst erkennen sie als ihr Oberhaupt an. Neben Christen und Muslimen gibt es noch die Drusen - eine Abspaltung von den schiitisch-muslimischen Ismailiten. Sie machen zwar schätzungsweise nur fünf Prozent der Bevölkerung aus, waren als gefürchtete Krieger und fähige Strategen meist zumindest an der Macht beteiligt. Die Drusen sind im Schuf-Gebirge südöstlich von Beirut beheimatet.

Warum leben im Libanon so viele Christen?

Die Christen auf dem Gebiet des heutigen Libanon konnten sich im 7. Jahrhundert gegen die islamische Expansion behaupten. Im 19. Jahrhundert siedelten außerdem zunehmend christliche Maroniten aus dem Gebiet des heutigen Syrien über. Das führte zu einem Bürgerkrieg mit den im Libanongebirge ansässigen Drusen. Frankreich intervenierte Mitte des 19. Jahrhunderts, und der Libanon wurde in den Augen vieler Christen zur "christlichen Insel im muslimischen Meer".

Wie macht sich Religion im libanesischen Alltag bemerkbar?

Die Glaubensgemeinschaften haben großen Einfluss auf das Privatleben der Libanesen, da wichtige Ereignisse wie Heirat, Scheidung oder auch Erbschaften in ihre Zuständigkeit fallen. Viele interreligiöse Paare heiraten im Ausland, zum Beispiel auf Zypern, weil eine Zivilehe so gut wie ausgeschlossen ist. Libanesen erkennen übrigens schnell, wer zu welcher Gemeinschaft gehört: an Redewendungen, am Dialekt, an Schmuck, Tätowierungen, an der Zeitung, die jemand liest, oder am Wohnort. Stadt- und Landesteile sind spätestens seit dem Bürgerkrieg nach Religionen aufgeteilt: Viele Christen leben in Ostbeirut oder in den Bergen nördlich von Beirut. Westbeirut sowie Sidon und Tripolis gelten als überwiegend sunnitisch, während Schiiten im Süden des Landes sowie in den südlichen Vororten von Beirut angesiedelt sind.

Muss jemand eine bestimmte Religion haben, um Präsident oder Regierungschef zu werden?

Ja. Es gilt bis heute ein Proporz-System in Regierung und Verwaltung, das die ehemalige Mandatsmacht Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg vor rund 100 Jahren eingeführt hat. Die Idee dahinter war, dass eine festgelegte Beteiligung der religiösen Gruppen an der Gestaltung des Landes, deren friedliche Koexistenz sicherstellen sollte. Nach dem Abzug Frankreichs wurde der Proporz 1947 in die Verfassung übernommen. Bis heute prägt er den Libanon: Staatspräsident muss ein maronitischer Christ sein, Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim, Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim.

Ist das denn heute noch praktikabel?

Schon diese Frage ist ein Politikum. Denn Grundlage für das System war eine Volkszählung im Jahre 1932. Damals lag der Anteil der Maroniten bei knapp 30 Prozent, der Anteil der Sunniten bei etwa 22 Prozent und der Anteil der Schiiten bei fast 20 Prozent. Seither nahm die muslimische Bevölkerung stärker zu als die christliche. Eine Volkszählung gab es aber nicht mehr.

Im Libanon herrschte von 1975 bis 1990 ein Bürgerkrieg - eine Ursache waren auch die religiösen Konflikte. Dennoch wurde an dem Proporz-System festgehalten. Warum?

Im Libanon wird gehöhnt: Nach dem Krieg kleideten sich die Warlords in Anzug und Krawatte und zogen ins Parlament ein. Grund ist ein Amnestie-Gesetz, das dafür sorgte, dass keiner der Kriegsherrn für Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen wurde. So haben bis heute im Grunde dieselben Familien, deren Macht auf der Loyalität der jeweiligen Glaubensgemeinschaft fußt, das Sagen. Und diese profitieren von dem alten System. 


Quelle:
epd
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