Religionen sollen laut Studie demografischen Wandel fördern

Priester und Imame als Schlüssel

Nirgendwo wächst die Bevölkerung so schnell wie in Westafrika. Wissenschaftler setzen auf Religionsführer, um die Bevölkerungsexplosion abzubremsen. Dabei ist Familienplanung für viele Muslime und Christen ein Tabuthema.

Autor/in:
Christoph Arens
Motorräder und Autos fahren durch eine Hauptstraße in Cotonou in Benin im März 2021 / © Katrin Gänsler (KNA)
Motorräder und Autos fahren durch eine Hauptstraße in Cotonou in Benin im März 2021 / © Katrin Gänsler ( KNA )

Westafrika ist der Hotspot der Bevölkerungsexplosion. Bis 2050 soll sich die Einwohnerzahl von 402 Millionen auf 797 Millionen Menschen nahezu verdoppeln. Die Konkurrenz um Jobs, Wohnungen, Bildung und Gesundheit wird sich verschärfen.

Nicht einmal jede vierte Frau in der Region hat Zugang zu Verhütungsmitteln. Familienplanung ist ein Tabuthema - bei Christen und Muslimen. Dennoch setzt eine am Donnerstag in Berlin veröffentlichte Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung auf Imame und christliche Geistliche, um das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen.

Kleinbäuerinnen bei der Feldarbeit in Gonponsum in Burkina Faso (Archivbild). / © Michael Merten (KNA)
Kleinbäuerinnen bei der Feldarbeit in Gonponsum in Burkina Faso (Archivbild). / © Michael Merten ( KNA )

Autorität der Priester und Imame

Drei Viertel aller Westafrikaner hörten bei Themen wie Kinderzahl oder Sexualität auf ihren Priester oder Imam, heißt es in der Studie, die im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erarbeitet wurde. Das Vertrauen in die religiösen Führer sei ungleich höher als in Vertreter der Politik.

Allerdings: In allen religiösen Gemeinschaften in Westafrika dominiert ein traditionelles Frauenbild. In Nigeria ist Kinderreichtum ein Statussymbol. In Benin gilt eine Frau als Frau, wenn sie auch Mutter ist. Kleinfamilien oder die bewusste Entscheidung gegen Nachwuchs treffen auf Unverständnis.

Doch Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, verwies bei der Vorstellung der Studie auf einen möglichen Wandel: Bei manchen religiösen Autoritäten zeige sich ein wachsendes Bewusstsein für die Folgen von Überbevölkerung, fehlender Bildung und Gesundheitsversorgung sowie für eine veränderte Rolle von Frauen.

Familienplanung und die Lebensbedingungen

Entgegen einer weitläufigen Annahme schließe etwa der Islam Familienplanung nicht explizit aus. "Und auch Christinnen und Christen setzen sich vielerorts dafür ein, dass Frauen selbstbestimmt über Verhütung und Familienplanung entscheiden können."

Hinz setzt auf die Anwaltsfunktion der Religionen: "Priester, Imame und Autoritäten indigener Gemeinschaften können fortschrittliche Lesarten ihrer heiligen Texte oder Mythen vor Ort bekannt machen und für bessere Lebensbedingungen eintreten", erklärte sie. "Schließlich wissen sie von den Realitäten in ihren Gemeinden, von Armut, Arbeitslosigkeit und ungewollten Schwangerschaften bei Teenagern." Die Religionsgemeinschaften könnten indirekt auf die Geburtenraten einwirken, etwa indem sie Vorzüge kleinerer Familien aufzeigten und für Familienplanung sensibilisierten.

Die Studie appelliert an Vertreter von Regierungen, Gesundheitsbehörden und der Zivilgesellschaft in Westafrika, bewusst mit Religionsvertretern zusammenzuarbeiten und gemeinsame Programme zu Familienplanung und Geschlechtergerechtigkeit zu entwickeln. Die Bevölkerungswissenschaftlerin nennt Beispiele: So engagiert sich etwa der Sultan von Sokoto, geistlicher Führer der rund 90 Millionen Muslimen in Nigeria, für Mädchenbildung. 2019 eröffnete er die panafrikanische "Keeping Girls in School Conference", bei der Repräsentanten aus Islam, Christentum, indigenen Religionen sowie Vertreter aus Politik und Entwicklungsorganisationen über Strategien berieten, mehr Mädchen eine Schulbildung zu verschaffen.

Netzwerke arbeiten mit Geistlichen und Imamen zusammen

Netzwerke wie die in neun Ländern aktive Ouagadougou-Partnerschaft, die für Familienplanung und die Aufnahme des Themas in Lehrerausbildung und Schulunterricht wirbt, arbeiten mit Geistlichen und Imamen zusammen. "So ist in den frankophonen Ländern Westafrikas eine Allianz religiöser Autoritäten entstanden, die miteinander kooperieren und sich austauschen", heißt es in der Studie.

Vor Journalisten zeigte Andre Gueye, katholischer Bischof von Thies im Senegal, am Donnerstag, dass mancher Religionsführer auch große innere Widerstände überwinden muss. Er betont, dass die katholische Kirche weiter künstliche Verhütungsmittel ablehnt. Er warnt davor, mit wirtschaftlichen und politischen Argumenten Druck auf Familien auszuüben. Gueye unterstreicht aber zugleich, dass die Kirche im Senegal Paare in Ehevorbereitungsgesprächen oder Bildungsveranstaltungen vor Ort auf ihre Verantwortung hinweise, für das Wohl und das Auskommen der Kinder sorgen zu können. "Die Zahl der Kinder muss zu den Mitteln passen, die die Familie hat, damit sich die Jungen und Mädchen entfalten können", sagt er.

Quelle:
KNA