Repräsentative Umfrage unter Geflüchteten zur Flucht und danach

Teuer, hoch riskant und sehr mühsam

Sie nehmen das Risiko von Gewalt, Ausbeutung und Gefängnis auf sich: 890.000 Flüchtlinge sind allein 2015 nach Deutschland gekommen. Nun gibt eine repräsentative Umfrage erste Einblicke in ihre Biografien und ihre Pläne für ein Leben in Deutschland.

Autor/in:
Anna Mertens
Flüchtlingsunterkunft in Sachsen / © Daniel Unger (dpa)
Flüchtlingsunterkunft in Sachsen / © Daniel Unger ( dpa )

Der Bruttomonatsverdienst eines deutschen Vollzeitbeschäftigten lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 3.612 Euro. Etwa zwei solcher Monatsgehälter hat ein Flüchtling im Schnitt ausgegeben, um nach Deutschland zu kommen, und mehr als einen Monat, durchschnittlich 35 Tage, hat er dafür gebraucht. Aus einem Transitland mit längerem Aufenthalt dauerte die Flucht sogar 49 Tage. Ganz zu schweigen von den Fluchtrisiken wie Gewalt, Betrug oder sexuelle Belästigung - alles für ein Leben in Deutschland.

Dies sind erste Ergebnisse einer am Dienstag in Berlin vorgestellten repräsentativen Umfrage unter 2.300 volljährigen Flüchtlingen, die seit Anfang 2013 nach Deutschland gekommen sind. Die Analyse bietet den Angaben zufolge erstmals einen detaillierten Blick auf die Umstände der Flucht, die Beweggründe und erste Erfahrungen in Deutschland.

Schutz und Achtung der Menschenwürde machen Deutschland zum Ziel

Hinter der Erhebung stehen das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Sozio-oekonomische Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. In einem zweiten Studienteil soll die Stichprobe der Befragten auf 4.500 Personen ausgeweitet werden.

Vor allem das große Schutzbedürfnis und die Achtung der Menschenwürde bringe die Menschen nach Deutschland, erklärte Migrationsforscherin Nina Rother vom BAMF. Für 43 der Befragten ist zudem das deutsche Bildungssystem ein Grund, Deutschland als Zielland auszuwählen, ebenso wie das Gefühl willkommen zu sein. In der Bundesrepublik angekommen litten aber viele unter der fehlenden Privatsphäre und dem Lärmpegel in Gemeinschaftsunterkünften, sagte Rother. Auch wünschten sich die Befragten mehr Beratungsangebote.

Häufigster Fluchtgrund: Krieg

Als häufigste Fluchtursache nannten die Betroffenen die Angst vor gewaltsamen Konflikten und Krieg (70 Prozent). Weitere Motive sind Verfolgung (44 Prozent), Diskriminierung (38 Prozent) und Zwangsrekrutierung (36 Prozent). Schlechte persönliche Lebensbedingungen sowie die Wirtschaftssituation im Herkunftsland führen 39 beziehungsweise 32 Prozent der Befragten an.

Die Flucht selbst birgt große Risiken. Ein Drittel der Frauen und zwei Fünftel der Männer berichten von körperlichen Gewalterfahrungen. 15 Prozent der befragten Frauen gaben an, sexuelle Übergriffe erlitten zu haben.

Ziele in Deutschland: Sprache lernen und Arbeit finden

In der Bundesrepublik wollen viele sich weiter bilden, die Sprache lernen und möglichst schnell eine Arbeit aufnehmen. "Die Bedeutung von Deutschkenntnissen für ihr Leben in Deutschland ist den Geflüchteten sehr bewusst", sagte der Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Herbert Brücker.

58 Prozent der Befragten haben in ihrer Heimat 10 Jahre und mehr in Schule, Ausbildung und Studium verbracht. 37 Prozent der Geflüchteten besuchten demnach eine weiterführende Schule, 31 Prozent eine Mittelschule, 10 Prozent eine Grundschule und 9 Prozent keine Schule. Knapp drei Viertel der Befragten waren vor der Flucht in ihrer Heimat berufstätig.

Flüchtlinge befürworten demokratisches System

Auffallend viele Gemeinsamkeiten zur deutschen Bevölkerung gibt es bei der Wertvorstellung der Flüchtlinge. So befürworten 96 Prozent ein demokratisches System und 92 Prozent gleiche Rechte für Frauen und Männer. Hier gebe es interessanterweise große Unterschiede zwischen der Bevölkerung in der Heimat der Flüchtlinge und den Geflüchteten, so das Ergebnis. Nehme man etwa die Frage, ob ein Religionsführer über die Auslegung der Gesetze entscheiden solle, so lag die Zustimmung in arabischen Ländern bei über 50 Prozent, erklärte der Sozialwissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Jürgen Schupp. Unter den befragten Flüchtlingen sei die Zustimmung indes 13 Prozent, unter den Deutschen 8 Prozent.

Mit Blick auf die Religionszugehörigkeit gibt es nach Angabe der Forscher leichte Unterschiede bei den Wertvorstellungen. Unter den Flüchtlingen sind rund 15 Prozent Christen, der Rest sind Angehörige unterschiedlicher islamischer Glaubensausrichtungen. Insgesamt seien bei der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau die Haltung der muslimischen Flüchtlinge etwas konservativer. Die grundsätzlich konservativste Gruppe seien die Jesiden.


Quelle:
KNA