Rheinischer Präses Schneider tritt vorerst Käßmann-Nachfolge an

Bodenständiger Theologe und sozialpolitischer Mahner

Auf ihren Stellvertreter konnte sich Margot Käßmann bis zum Schluss verlassen: Noch in der Telefonkonferenz des Rates der EKD am Dienstag stärkte der rheinische Präses Nikolaus Schneider der angezählten Bischöfin den Rücken. Nach dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden steht ihr bisheriger Vize plötzlich selbst an der Spitze der 25 Millionen deutschen Protestanten.

Autor/in:
Ingo Lehnick
 (DR)

Der 62-jährige Theologe gilt als bodenständiger Mahner, der sich vor allem mit profilierten Äußerungen zu sozialethischen Fragen einen Namen gemacht hat.

Schneider hat bereits eine Reihe von Leitungsämtern inne: Seit
2003 ist er Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, mit gut 2,8 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte der 22 deutschen Landeskirchen. Seine Amtszeit endet 2013. Seit 2005 ist Schneider zudem Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und seit knapp einem Jahr Vorsitzender des Diakonischen Rates der EKD. Ob er längere Zeit an der EKD-Spitze stehen wird oder eher eine Übergangsfigur ist, scheint offen. Regulär müsste die Neuwahl des Ratsvorsitzenden auf der nächsten EKD-Synode im November erfolgen.

Wie beliebt und anerkannt der nun ins Rampenlicht gerückte Schneider auch bundesweit ist, zeigt unter anderem sein Wahlergebnis auf der vergangenen EKD-Synode im Oktober in Ulm. Die Wiederwahl in den Rat, dem er seit 2003 angehört, gelang dem leitenden Theologen der rheinischen Kirche bereits im zweiten Wahlgang - nach Käßmann, aber deutlich vor den anderen leitenden Geistlichen, die bei der Mammut-Abstimmung teilweise stundenlang zittern mussten oder entnervt das Handtuch warfen. In seiner kurzen Amtszeit als Ratsvize stellte sich Schneider mehrfach demonstrativ hinter Käßmann. Insbesondere nahm er sie gegen heftige Kritik wegen ihrer Afghanistan-Äußerungen in Schutz und wies einige Vorwürfe als unverschämt zurück.

Schneiders Popularität liegt auch in seiner Person begründet.
Persönliche Eitelkeiten und Ambitionen liegen dem warmherzigen, teamorientierten Theologen eher fern, der aus einfachen Verhältnissen stammt und ohne akademisches Gehabe oder Allüren daher kommt. Der ehemalige Wirtschaftsstudent sorgt sich um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, geißelt eine «egoistische Abzockermentalität» unter Managern und sieht in der Finanzkrise auch eine Folge von kapitalistischem Größenwahn. Mit Blick auf die sozialen Umwälzungen in der Gesellschaft hält er ein neues Sozialwort der Kirchen für geboten.

Die Menschenwürde wahren, Armut und Arbeitslosigkeit verringern: Der Sohn eines Duisburger Stahlarbeiters blieb in seinen kirchlichen Spitzenämtern den Themen treu, die ihn schon als jungen Mann herausforderten. «Nahe bei den Menschen sein» lautet ein Lieblingsmotto des fußballbegeisterten Theologen, für den die Kirche Anwältin der Menschen sein muss. «Kirche ist der Vorposten Gottes in der Welt und nahe bei den Menschen, das muss man spüren», sagte er nach seiner Wahl zum EKD-Ratsvize.

Schon als Pfarrer und Superintendent in Duisburg und Moers zeigte sich Schneider als Vertreter einer sozial engagierten Kirche, die sich von der «Leidenschaft Gottes für die Schwachen» leiten lässt. Beim Umbau des Sozialstaates müssten die Lasten gerecht verteilt werden, fordert er immer wieder und warnt, der Kampf gegen Armut habe mit Hartz IV die Mitte der Gesellschaft erreicht. In den 70er Jahren stand er an der Seite der Bergleute und Stahlkocher, die um ihren Arbeitsplatz bangten - das trug ihm seinerzeit die Hans-Böckler-Medaille des DGB ein.

Geboren wurde Nikolaus Schneider am 3. September 1947 in Duisburg. Nach dem Theologie-Studium in Wuppertal, Göttingen und Münster wurde er 1976 Gemeindepfarrer in Duisburg-Rheinhausen, später Diakoniepfarrer im Kirchenkreis Moers, ab 1987 war er dort Superintendent. Nach dem Wechsel ins Düsseldorfer Landeskirchenamt 1997 war Schneider zunächst als Vizepräses für die über 2.000 Theologen der rheinischen Kirche zuständig. Anfang 2003 wählte ihn die Landessynode dann als Nachfolger von Manfred Kock zum Präses.

Dass er ebenso wie Kock, der sich 1997 überraschend gegen den Berliner Bischof Wolfgang Huber durchsetzte, einmal das Spitzenamt des deutschen Protestantismus ausüben würde, war damals nicht absehbar.

Wichtigster persönlicher Rückhalt für Schneider ist seine Frau Anne, mit der er seit 1970 verheiratet ist. Ein schwerer Schlag für die Eheleute Schneider war Anfang 2005 der Tod ihrer Tochter Meike: Die jüngste der drei Töchter starb im Alter von 22 Jahren an Leukämie. Die Eltern gingen mit der persönlichen Krise offensiv um und veröffentlichten Meikes Krankheits-Tagebuch sowie ein Buch zum Thema Leid und Glauben. Das Privatleben wird in Schneiders Leben in nächster Zeit wohl noch kürzer kommen als ohnehin schon. Das Ruder bei der EKD jedenfalls übernimmt er - wie schon seine übrigen Ämter - in unruhigen Zeiten.