Ali Reza kann inzwischen wieder mit seiner Mutter und seiner Schwester telefonieren. Fast drei Jahre lang wusste er nicht einmal, ob sie die Flucht nach Europa - wie er - überlebt hatten. 2015 kam der heute 19 Jahre alte Afghane wie so viele andere in Deutschland an. Monate zuvor hatte er nach eigenen Angaben an einem Strand in der Türkei seine Mutter und seine Schwester verloren, kurz vor der gefährlichen Überfahrt nach Griechenland.
Schüsse seien damals gefallen, Schlepper hätten ihn in ein Boot geworfen, sein Handy und seinen Rucksack habe er verloren, erzählt Reza während der Pressekonferenz des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin. Das DRK zieht zum Tag der Vermissten Bilanz, und der junge Afghane ist eine der Erfolgsgeschichten des internationalen Suchdienstes. Aktuell sucht das Rote Kreuz weltweit rund 100.000 Menschen.
Tausende auf der Suche nach Angehörigen
Allein in Deutschland vermissen - trotz sinkender Flüchtlingszahlen - weiterhin Tausende ihre Angehörigen, von denen sie auf der Flucht getrennt worden sind. Beim DRK gehen Anfragen vor allem zu den Herkunftsländern Afghanistan, Syrien, Somalia und Eritrea ein. Etwa in der Hälfte der Fälle kann der Suchdienst der Hilfsorganisation einen Erfolg vermelden.
So auch bei Ali Reza: Mutter und Schwester leben heute in Großbritannien, seit Anfang des Jahres können sie wieder miteinander telefonieren. Dass es dazu gekommen ist, hat Reza auch seinen Pflege-Eltern in Deutschland zu verdanken, die ihn aufnahmen, als er allein in einer Notunterkunft in Kiel lebte. "Das war für mich ein Sechser im Lotto", sagt der junge Mann, dessen Vater in Afghanistan getötet wurde, als er fünf Jahre alt war.
Das Paar - der Mann ein Landsmann Rezas mit deutschem Pass und die Frau Deutsche - hilft ihm, so dass er heute eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker machen kann. Der Mann, den Reza mittlerweile "Papa" nennt, habe gesagt, er müsse Deutsch lernen und zur Schule gehen. Er war es auch, der ihm riet, sich an den Suchdienst des DRK zu wenden.
Online-Suche mit Foto
Sein Pflegevater habe ein Foto gemacht und es ins Internet gestellt, sagt Reza. Die Online-Suche mit Fotos ist noch ein relativ neuer Weg, den die Suchdienste des Roten Kreuzes beschreiten. Seit September 2013 haben weltweit rund 21.500 Menschen über die "Trace the Face" genannte Datenbank nach Angehörigen gesucht, rund 4.800 aus Deutschland.
Treffer gab es unter den deutschen Fällen zwar bislang nur 109, doch jeder einzelne kann helfen, aus jahrelanger Ungewissheit eine glückliche Nachricht zu machen. Das Prinzip erinnere an die sogenannten Vermisstenbildlisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg genutzt wurden, erklärt Dorota Dziwoki, Leiterin der Suchdienst-Leitstelle des DRK. Für minderjährige Flüchtlinge, die allein unterwegs seien, gebe es auch online einen geschützten Bereich.
Internationale Datenbank
Die Datenbank sei ein wichtiges Instrument, gerade auf internationaler Ebene, sagt Dziwoki. Denn wenn es mehr als 70 mögliche Schreibweisen für den Vornamen Mohammed gebe und in manchen Ländern Geburtsdaten und -orte nicht erfasst würden, gestalte sich die Suche mitunter sehr schwierig.
Im Fall von Ali Reza war es das Britische Rote Kreuz, das den entscheidenden Tipp gab: Mutter und Tochter waren 2015 zunächst in der Türkei geblieben. Erst im vergangenen Jahr wurden sie als UN-Flüchtlinge anerkannt. Danach konnten sie mit dem Flugzeug nach Großbritannien reisen. Auf ein Wiedersehen jenseits von Videotelefonaten muss die Familie allerdings noch warten. Da ist bislang das Aufenthaltsrecht vor, das Besuche verhindert.