Die befürchteten neuen Zusammenstöße und weitere "Tage des Zorns" sind ausgeblieben. Aber ob der Konflikt um den Status von Jerusalem und die Souveränität des Tempelbergs tatsächlich ausgestanden ist, bleibt offen. Die beanstandeten Metalldetektoren und Überwachungskameras sind abgebaut, die Muslimführer haben ihre Gläubigen zum Ende des Boykotts und zur Rückkehr auf den Tempelberg aufgerufen.
Erstmals seit zwei Wochen fand ein Freitagsgebet auf dem islamischen Heiligtum "Haram al-Sharif" wieder ohne blutige Ausschreitungen statt. Allerdings durften in der Al-Aksa-Mosche nur Männer über 50 beten. Israels Sicherheitskräfte sind in und um die Jerusalemer Altstadt weiterhin in hoher Alarmbereitschaft und äußern sich entschlossen, jede Unruhe rigoros im Keim zu ersticken.
Beobachter irritiert über Netanjahus Einlenken
Während die Palästinenser einen "Sieg" feiern, reiben sich Beobachter irritiert die Augen über das doppelte Einlenken des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Nach der Ermordung zweier israelischer Grenzpolizisten und der Erschießung der drei palästinensischen Angreifer auf dem Tempelberg am 14. Juli hatte er scharfe Sanktionen verhängt. Er hatte damit den Streit um den wohl heißesten Punkt des Nahost-Konflikts aufgeheizt - und offensichtlich überreizt. Denn nicht nur seine Sicherheitsberater und Geheimdienste dürften ihn davor gewarnt haben, die gesamte islamische Welt auf diese Weise gegen sich aufzubringen.
Vor allem Jordaniens König Abdullah II., traditioneller Wächter über das drittwichtigste Heiligtum des Islam, und einer der wenigen arabischen Verbündeten Israels in der arabischen Welt dürfte ihn zum Nachgeben bewegt haben. Aber genau mit diesem König liegt er nun wegen eines diplomatischen Zwischenfalls über Kreuz: Ein Botschafts-Wachmann hatte vergangenen Sonntag in Amman einen Handwerker nach einer Schraubenzieher-Attacke sowie einen weiteren Zivilisten erschossen. Nach Protesten aus Jordanien leitete Israel in der vergangenen Woche eine rechtliche Untersuchung des Vorfalls ein.
"Wie konnte Netanjahu in diese religiöse Falle tappen"?
Weiter lässt eine verklausulierte Erklärung des saudischen Königshofs erahnen, dass auch König Salman oder sein Thronfolger Mohammed im Tempelberg-Streit Einfluss genommen haben - sei es direkt oder über Mittelsmänner. Und da Netanjahu neuerdings Einvernehmen mit sunnitischen Mächten wie Jordanien, den Golfstaaten und eben Saudi Arabien gegen den Iran sucht, dürften solche Signale nicht ohne Wirkung geblieben sein.
Gerätselt wird, warum Netanjahu derart in diese religiöse Falle tappen konnte. War es der Druck von Hardlinern in seiner Regierung, die ihm mangelndes Durchgreifen in der Jerusalemfrage vorhalten? War es taktisches Lavieren mit Blick auf mögliche vorgezogene Neuwahlen? Oder ein simples Ablenkungsmanöver, wie der frühere Ministerpräsident Ehud Barak vermutete: Denn gegen Netanjahu laufen Nachforschungen wegen Korruptionsverdachts und der Annahme unerlaubter Geschenke.
Prestige-Erfolg für Abbas?
Israelische Medien werten das Nachgeben des Ministerpräsidenten als einen Prestige-Erfolg für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Er habe im Konflikt um das religiöse Heiligtum Härte und Entschlossenheit gezeigt und sich für dessen Souveränität gegen eine aus arabischer Sicht schrittweise Judaisierung Jerusalems eingesetzt
Von China kommend, hatte er am Donnerstag das Krisentreffen mit Jerusalems Großmufti Mohammed Ahmed Hussein und der Tempelbehörde Wakf geleitet. Anschließend begab er sich wegen physischer Erschöpfung in eine Klinik, wurde aber inzwischen wieder entlassen.
Dennoch wird über den Gesundheitszustand des 82-Jährigen gerätselt - samt Nachfolgeszenarien. Ob und wann Abbas die offiziellen Kontakte zu Israel, die er wegen der Tempelberg-Krise eingefroren hatte, wieder aufnehmen will, ist unklar. Auch hier spielt das interne Kräftemessen - mit der radikalen Hamas - eine Rolle.
Tempelberg-Konflikt fast kein Einfluss auf Tourismus
Auf den Tourismus hatte der Tempelberg-Konflikt so gut wie keine Auswirkungen. Pilger und Touristen mieden in den heißen Stunden des Freitags zwar die neuralgischen Punkte am Löwen- und am Damaskustor.
Aber bis auf wenige Straßen im Muslim-Viertel war die Altstadt frequentiert wie sonst auch. Gruppen zogen durch die Basarviertel, beteten in der Grabeskirche und besuchten die Klagemauer. Wenn es kommenden Freitag ähnlich ruhig bleibe, stünden die Chancen für ein Ende dieser Krise gut, meinen Landeskenner. Damit ist aber keineswegs der zugrundeliegende Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und das Ringen um die Zukunft Jerusalems ausgestanden.