Rupert Neudeck zu den Syrien-Friedensverhandlungen

"Das Land ist kaputt"

Ohne Hoffnung auf einen schnellen Erfolg hat die zweite Runde der syrischen Friedensverhandlungen in Genf begonnen. Rupert Neudeck schätzt im domradio.de-Interview die Erfolgschancen als gering ein.

Rupert Neudeck (dpa)
Rupert Neudeck / ( dpa )

domradio.de: Ist dieser Beginn dieser zweiten Runde jetzt der Beginn einer langen Reihe von endlosen Verhandlungsrunden? Was halten Sie von den neuen Friedensverhandlungen in Genf?
Rupert Neudeck (Journalist und Gründer von Grünhelme e.V.): Wir haben keine Alternative, als uns klarzumachen, dass das das Einzige ist, was noch international im Konfliktlösungsmechanismus überhaupt geht. Dazu kommt aber, dass die ursprüngliche Formel, die wir immer gebraucht haben, dass Verhandeln besser ist, als Krieg zu führen, für Syrien nicht funktioniert. Wenn wir z.B. als Zuschauer im Fernsehen und als Hörer der Nachrichten – wenn wir über Bilder wissen würden, wie es in Syrien aussieht, dann würden wir gar nicht mehr schlafen können, so furchtbar ist die Situation, so furchtbar ist sie für die Zivilbevölkerung, weil der Krieg nicht eine Sekunde nachgelassen hat. Das ist das Dilemma der Verhandlungen, dennoch muss sich die Welt darauf einlassen. Es wäre natürlich wirklich gut, wenn alle am Konflikt Beteiligten, ja sogar alle Konflikte der Region einmal auf den Tisch kämen und die UNO damit ein stärkeres, größeres Mandat hätte, zu einer Lösung vielleicht nicht nur der Syrienproblematik und der Syrienkatastrophe zu kommen, sondern auch zu einer Lösung der Palästina-Katastrophe, der Gaza-Katastrophe. Wir haben dort ja mehrere große Problemfelder im Nahen Osten, die alle zusammenhängen.

domradio.de: In diesem Zusammenhang wird ja auch vielfach kritisiert, dass der Iran bei den Verhandlungen nicht mit am Tisch sitzt. Ist denn der Syrien-Krieg tatsächlich nur so eine Art Stellvertreterkrieg im Nahen Osten oder handelt es sich wirklich um einen Bürgerkrieg in dem Land?

Neudeck: Er ist wahrscheinlich alles von dem, was Sie jetzt angedeutet haben. Aber das Entscheidende ist, dass wir uns nicht klargemacht haben, dass Russland seine Großmachtrolle hier in Syrien ganz besonders deutlich und knallhart durchsetzen will. Deshalb wäre es auch für die syrische Opposition, wenn sie es denn ist, wenn sie wirklich am Verhandlungstisch in Genf jetzt wieder auftauchen würde, gut, sich auf einen Deal mit Russland einzulassen, denn der russischen Politik ist es natürlich gegenwärtig, dass sie Assad auf Dauer nicht halten kann. Man will aber unter allen Umständen den Hafen am Mittelmeer behalten und man will diesen Stützpunkt, diese Basis als globalen Ausdruck der Supermacht Russland behalten. Deshalb wäre es gut, die syrische Opposition würde sich mit Russland auf einen Deal verständigen, damit Russland keine Angst haben muss, dass bei einer Übergangsregierung ohne Assad Russland seine Basis verliert. Die sollte es nach meiner Einschätzung behalten können. Aber dafür muss Russland eben Zugeständnisse machen, damit es endlich zu einer friedlichen Lösung der Probleme für die Zivilgesellschaft in Syrien kommt.

domradio.de: Aber ist denn ein Syrien ohne Assad überhaupt ein realistisches Szenario? Die Regierungsseite wird da ja kaum zustimmen.

Neudeck: Ich denke, das es das einzig Realistische ist, was wir uns vorstellen können. Wenn wir durch das Land fahren – ich bin immer wieder durch Teile des Landes gefahren ‑, dann weiß man, dass diese Bevölkerung es gar nicht ertragen könnte, mit Assad die Zukunft des Landes zu gestalten. Denn das Land ist kaputt, das Land ist in jeder Weise zerstört. Assad hat das dieses blühende, wunderbare Land, in dem zwei große Weltreligionen ihre Ursprungsorte haben, kaputtbombardiert in dem Bemühen, die eigene Macht für die eigene Familie zu erhalten – so kaputt, dass nicht einmal ein großer Wirtschaftszweig in Zukunft wie bisher wird funktionieren können, nämlich der Tourismus. Die Touristen können in Aleppo nicht mehr die wunderbaren Altertümer besichtigen, weil die kaputtgehauen sind. Und wir erfahren ja jetzt, dass eben diese TNT-Bomben mit Sprengstoff weiter auf Aleppo niedergehen. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Zukunft Syriens nicht mit Assad gehen kann – das halte ich für die einzig realistische Lösung.

domradio.de: Sie haben eben die schrecklichen Bilder angesprochen, die dieser Krieg Tag für Tag liefert. Jetzt hat es in der Stadt Homs diesen humanitären Korridor gegeben, durch den vor allem Frauen und  Kinder die Stadt verlassen durften. Sehen Sie das als Fortschritt, hat das geklappt?

Neudeck: Zumindest ist er nicht eingestellt oder an der Grenze schon unterbunden worden. Und durch ihn hat man zumindest erreicht, dass Menschen aus Homs herauskommen konnten. Aber auch da fehlt mir die Initiative und die große Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschaft, auch der Europäer und auch der Deutschen. Wir müssen natürlich sofort sehen, dass wir diese Menschen, wenn sie aus der Hölle von Homs, aus der Hölle von Aleppo herauskommen können, nicht in Flüchtlingslagern alleinlassen können, in denen es kalt und unersprießlich ist. Sie müssen wirklich auf Zeit nach Europa kommen dürfen. Die müssen ein Zuhause bekommen, vor allem die Kinder brauchen Unterricht. Also, die internationale Staatengemeinschaft könnte sehr, sehr viel mehr tun, damit diese Korridore, von denen wir jetzt mit Homs einen kleinen leisen Beginn erlebt haben, für die Menschen, die so Unerträgliches auf sich genommen und erlitten haben, eine Zukunft bedeuten können.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR