Die katholische und die evangelische Dompfarrei in Bautzen sprechen oft mit einer Stimme. Zuletzt verurteilten sie in ihrer gemeinsamen Neujahrsbotschaft auflodernde Fremdenfeindlichkeit in der ostsächsischen Stadt: "Auf der Basis unserer christlichen Überzeugung werden wir nicht einfach zusehen, wenn Hass auf andere Menschen gesellschaftsfähig wird, wenn die Hemmschwelle zu Gewaltausbrüchen sinkt und Menschen im Alltag lächerlich gemacht werden."
Doch bereits vor knapp 500 Jahren, als sich im Zuge der Reformation die Christen - auch nicht immer sehr friedlich - in Protestanten und Katholiken teilten, kam es in Bautzen zu einer ersten Wiederannäherung: Seit 1524 nutzen beide Konfessionen den Sankt-Petri-Dom gemeinsam für ihre Gottesdienste.
Älteste Simultankirche Deutschlands
In der damit ältesten und größten Simultankirche Deutschlands eröffnen an diesem Freitagabend Kirchen und Staat das Gedenkjahr an 500 Jahre Reformation für Sachsen. An dem ökumenischen Festgottesdienst nehmen Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), der evangelische Landesbischof Carsten Rentzing und der katholische Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, sowie der evangelisch-lutherische Moskauer Erzbischof Dietrich Brauer teil.
Die Feier soll auch die gewachsenen ökumenischen Beziehungen zwischen den Kirchen der Reformation und der römisch-katholischen Kirche würdigen, wie die evangelische Landeskirche betont. Der Bautzener Dom, dessen katholischer Teil von 1921 bis 1980 auch Kathedrale des damaligen Bistums Meißen war, ist dafür wie kein anderes Gotteshaus in Sachsen geeignet.
Zwar gibt es bundesweit insgesamt 64 Simultankirchen. Doch die Bautzener war die einzige, bei der das Angebot zur gemeinsamen Nutzung von katholischer Seite kam, wie der Simultankirchen-Experte Heinz Henke weiß. Der damalige katholische Dekan Paul Küchler habe klug gehandelt, als den Protestanten offiziell vorschlug, sich das Gotteshaus zu teilen. Das war 1530 und die ungewöhnliche "Kirchen-WG" bereits sechs Jahre gelebte Praxis.
"Übernahme" verhindert
Allerdings war es für Küchler auch eine Art Flucht nach vorn: Die damals 5.000 Bewohner der Stadt waren nahezu alle protestantisch geworden. Nur das Domstift widersetzte sich mit 30 Katholiken standhaft der Reformation, wie Heinze erklärt: "Und die Protestanten hatten den Standpunkt vertreten: Die Kirche ist Teil der Stadt, und ihr seid so wenige, also gehört die Kirche uns."
Mit seiner ökumenischen Offerte konnte der katholische Dekan somit die protestantische "Übernahme" des Doms verhindern. 1543 wurde das Ganze nach diversen Querelen schließlich in ausführlichen Verträgen geregelt, im 19. Jahrhundert dann auch im Grundbuch festgehalten:
Zwei Drittel der Kirche gehören den Protestanten, ein Drittel den Katholiken. 925 Plätzen stehen den Protestanten zu, 294 den Katholiken. Zudem gibt es nicht nur zwei Eingänge, sondern auch zwei Orgeln, zwei Sakristeien, zwei Altäre und unterschiedliche Kirchenbänke im vorderen und im hinteren Teil des Gotteshauses.
Gitter als "Trennlinie"
Sichtbare Trennlinie ist bis heute das ein Meter hohe Gitter, das den Kirchenraum in den evangelischen und den katholischen Teil trennt. Noch im 19. Jahrhundert war es 4,50 Meter hoch. Doch in den 1950er Jahren wurde es nach kontroversen Diskussionen gekappt. Kurzzeitig wurde mit Blick auf 2017 erwogen, es ganz zu entfernen. Doch die Kirchenleitungen entschieden sich letztlich dagegen. "Da es ein geschichtliches Zeugnis ist und in seiner niedrigen Form auch nichts Trennendes hat", erläutert der Baupfleger der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens, Bernhard Preiß. "Außerdem: Die Leute wollen das Gitter sehen."
Es macht auch deutlich, dass jede Konfession weiterhin ihr eigenes Profil hat. Dem gemeinsamen Handeln steht dies nicht im Wege. Seit der jüngsten, umfassenden Sanierung von 2013 bis 2015 ziert in Deutsch und Sorbisch, das die slawische Volksgruppe der Region spricht, ein bezeichnender Vers aus dem Johannes-Evangelium die bronzene Abdeckung des Gitters: "Wir sollen alle eins sein."