DOMRADIO.DE: Am heutigen Vormittag hatten Sie eine Privataudienz bei Papst Franziskus. Wie lief das ab? Nehmen Sie uns mit in die heiligen Hallen.
Michael Kretschmer (Ministerpräsident des Freistaates Sachsen): Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit, die wirklich sehr gut informiert und vor allen Dingen bereit ist, Verantwortung ganz unmittelbar zu übernehmen. Seine Einlassungen zum Ukraine-Krieg – klar: Die russische Seite hat diesen Krieg begonnen und sie trägt auch die Verantwortung. Sie muss ihn auch beenden.
Aber da ist auch der Versuch, sich ganz unmittelbar in diese Gespräche mit einzuklinken: Es ist absolut ungewöhnlich, als Papst den russischen Botschafter in Rom zu besuchen und ihn unmittelbar auch zur Rede zu stellen, das sind alles ganz besondere Zeichen und auch ein ganz besonderes Engagement.
Wir müssen erreichen, dass dieser Krieg ein Ende hat, dass dieser bewaffnete Konflikt eingefroren wird. Es hilft nichts. Die Menschen in der Ukraine sterben. Das ist ein riesiges Leid und es droht auch jetzt für die gesamte Welt zu einem riesen Desaster zu werden. Wir sehen ja, welche Verwerfungen das überall bringt und wir sind alle davon betroffen. Das ist sehr gefährlich. Es geht um Hungersnot in Afrika. Wir sehen die Wirtschaftskrise, die beginnt durch die hohen Energiekosten.
DOMRADIO.DE: Heißt das denn, das Thema ihrer Audienz beim Papst war der Ukraine-Krieg und der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Putin? Gab es sonst noch Themen?
Kretschmer: Das war ein wichtiges Thema. Ein anderes war der sogenannte Synodale Weg. Ich selbst bin ja Protestant und habe mir eine katholische Delegation erbeten – wunderbare Menschen aus dem Bistum Dresden-Meißen. Wir sind hier gemeinsam. Ich habe viel gelernt auf der Fahrt hierher über die Diskussion derzeit in den Bistümern. Ich verstehe diesen Wunsch und auch die Notwendigkeit, nach diesen furchtbaren Missbrauchsfällen jetzt eine Selbstvergewisserung, einen Aufbruch zu organisieren. Man spürt allerdings auch hier in Rom: Es wird nicht verstanden, was da die deutschen Katholiken genau vorhaben.
Das war gut auch noch mal für mich zu hören: Es braucht hier ganz viel Kommunikation. Es gibt gerade beim Papst natürlich den gleichen Willen und den gleichen Wunsch, dass diese Missbrauchsfälle geklärt werden und dass so etwas nie wieder passiert. Es gibt den Wunsch, dass es eine lebendige Kirche ist. Ich glaube, man liegt nicht weit auseinander, aber es braucht das Gespräch, um mehr Verständnis zu erzeugen füreinander.
DOMRADIO.DE: Begleitet werden Sie vom Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers. Und Sie haben in Rom auch noch einen Termin gehabt mit dem Jesuitenpater Hans Zollner, Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen. War die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt dabei auch nochmal ein Thema?
Kretschmer: Wir sollten da ganz klar sprechen: Es ist auch ein gesellschaftliches Problem. Wir haben das in vielen Bereichen und die Gesellschaft braucht eine klare Haltung dazu. Sie braucht eine klare Haltung, was solche Verfehlungen angeht, wie man damit umgeht. Es darf nicht vertuscht werden, sondern in aller Deutlichkeit aufgedeckt werden. Es müssen Konsequenzen gezogen werden. Wir müssen sprechen können über Sexualität, dass das nicht so unter der Decke bleibt. Wichtig ist, dass es auch in der Ausbildung überall einen aufgeklärten Umgang damit gibt. Das muss man einfordern von der Kirche, aber eben auch von allen anderen Gruppen, die die Gesellschaft ausmachen.
DOMRADIO.DE: Als Protestant: Wie viel Bedeutung hatte dieses Gespräch mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche heute für Sie persönlich?
Kretschmer: Ich habe großen Respekt und große Achtung vor dieser Institution. Ich habe in der Zeit der Coronakrise mit Heinrich Timmerevers und dem evangelischen Bischof kurz vor Ostern 2020 zusammengestanden. Wir haben eine Videobotschaft aufgenommen und versucht zu erklären, warum Gottesdienste 2020 nicht möglich sind. Ich habe erlebt, wie die beiden dann auch aus den Gemeinden heraus viele Fragen und auch zum Teil Vorwürfe bekommen haben. Und dann, wenige Tage später, der Heilige Vater, der in Rom sitzt, ganz allein auf dem Petersplatz...
Das haben wir heute auch miteinander noch mal besprochen. Das ist so wichtig in diesem konkreten Fall für die Gesellschaft. Aber auch seine Wortmeldungen beispielsweise zum Umweltschutz. Das ist doch auch etwas, was ankommt bei den jungen Leuten an der Basis der Kirche! Das ist für viele auch außerhalb der katholischen Kirche eine Leitschnur, eine Motivation. Und diese wunderbaren Worte, die Papst Franziskus da findet, Hoffnung zu sehen und nicht Angst zu schüren, jungen Leuten Mut zu machen.
Man sieht immer mit zwei Augen. Das eine Auge sieht die Realität so, wie sie heute ist. Das zweite ist eine Hoffnung. Das ist sein Wunsch, seine Zuversicht. Wir brauchen diese beiden Augen. Damit jungen Leuten auch zu sagen, ihr könnt das alles erreichen und ihr müsstet es eigentlich auch. Macht mit! Tut mit! Das ist auch ein Ruf, den der Heilige Vater in Rom aussendet und der dann auch gehört wird.
DOMRADIO.DE: Ich habe gelesen, dass Sie ein Geschenk mitgebracht haben, und zwar einen Salzstreuer aus Meissner Porzellan und ein verziertes Brot aus dem Erzgebirge. Salz und Brot schenkt man zum Einzug. Hatte das eine tiefere Bewandtnis?
Kretschmer: Es ging vor allen Dingen darum, eigentlich nichts zu schenken, was so materiell ist, das man das kaufen kann. Die Bäcker im Erzgebirge haben sich gewünscht, ein Brot für den Papst zu backen. Sie haben das gemacht mit viel Liebe. Und ich finde, das ist so unmittelbar, das ist so ehrlich – so ehrlich wie dieser Papst; so ehrlich auch, wie wir miteinander umgehen sollten. Die Kirche wird gebraucht in dieser Gesellschaft an so vielen Stellen: im Sozialen, im Karitativen, natürlich auch im Spirituellen.
Wir müssen alle dafür sorgen, dass diese wichtige Institution und auch die anderen Kirchen in einer guten ökumenischen Bewegung zusammenbleiben, dass sie Vertrauen in der Gesellschaft brauchen. Das ist wichtig. Wir können darauf nicht verzichten. Und mein Besuch sollte auch das ausdrücken. Ich möchte gern ein Klima in unserer Gesellschaft, dass positiv zur Religion steht und religiöse Menschen, die sich aktiv einbringen und gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Land sich gut in Zukunft weiterentwickelt.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.