Während der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers in der "Süddeutschen Zeitung" davor warnte, Geimpfte weiter einzuschränken, sprach sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" gegen jede Vorzugsbehandlung aus. Ansonsten drohe die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung, sagte Schäuble.
Schäuble: "Nicht der richtige Zeitpunkt"
"Zwischen bereits Geimpfte und Nicht-Geimpfte dürfen wir keinen Keil treiben", mahnte Schäuble. Das Tempo bei der Impfstoffentwicklung nannte er "absolut beeindruckend". Deswegen sei zu hoffen, dass es bei der Produktion noch schneller gehen werde, sagte der CDU-Politiker. "Jetzt ist jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt, um über Privilegien für die ersten Geimpften zu streiten, dazu wissen wir noch zu wenig über Dauer und Umfang der Impfwirkung."
Verfassungsrechtler Möllers zeigte sich gegenüber Einschränkungen für Corona-Geimpfte skeptisch. "Wenn wir sicher wären, dass die Menschen nach einer Impfung nicht mehr ansteckend sind, wäre eine gegen sie gerichtete Freiheitsbeschränkung juristisch ein ungeeignetes Mittel - und damit unverhältnismäßig", sagte Möllers.
"Allenfalls übergangsweise kann man es vielleicht noch tolerieren, dass die Einschränkungen noch eine Zeit lang für alle gelten", so Möllers weiter. "Zum Beispiel, weil Ausnahmen schwer zu kontrollieren wären." Der Jurist betonte aber: "Solange Unsicherheit über Impfstatus und Impfeffekt herrscht, hat der Staat Spielräume, die Einschränkungen fortzusetzen." Ähnlich hatten sich zuletzt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, und Ex-Bundesminister Rupert Scholz geäußert.
Keine einfachen Antworten
Der Medizinethiker Wolfram Henn lehnte Privilegien für bereits gegen das Coronavirus Geimpfte ab. "Wir müssen zurückhaltend sein, 'ich bin jetzt geimpft, also brauche ich keinen Schutz mehr', so einfach kann es nicht gehen", sagte Henn dem "Mannheimer Morgen" (Samstag). Henn, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, warnte, dass nicht alle Geimpften auch mit Sicherheit geschützt seien, da es sogenannte "Impfversager" gebe. Zudem sei noch unklar, inwieweit Geimpfte die Viren weitertragen könnten. "Wir werden mit Beschränkungen zu leben haben."
Unterdessen bezeichnete der Lüneburger Kulturwissenschaftler Andreas Bernard die Impffrage in einem Interview des Deutschlandfunks als "eines der komplexesten ethischen Probleme, die es gibt". Auf die Frage, ob Geimpfte in der Pandemie Sonderrechte erhalten sollten, also beispielsweise wieder in Restaurants oder Kinos gehen dürften, gebe es keine einfachen Antworten. Aber in politischem Sinne seien derartige Diskussionen um das Impfen "hochinteressant", weil sie in aller Deutlichkeit die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft stellten.