"Eine neue Lebensmöglichkeit." Ausgerechnet unter diesem Titel hat Annette Schavan eine Kolumne geschrieben, die in diesen Tagen in der theologischen Fachzeitschrift "Diakonia" erscheint. Vor dem Hintergrund der Bibelstelle, die von der Begegnung zwischen Jesus und einem reichen Mann erzählt, meditiert die katholische Theologin darüber, "woran unser Herz hängt und wovon wir uns provozieren lassen". Jesus lade zu einem Leben ein, das "sich nicht sklavisch an die eigenen Erfolge bindet" und unabhängig mache von der Akzeptanz und Ablehnung anderer.
Eine neue Lebensmöglichkeit - die wird die CDU-Politikerin jetzt suchen müssen. Am Samstag verkündete sie ihren Rücktritt als Bundesforschungs- und -Bildungsministerin, nachdem ihr wenige Tage zuor der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf den Doktortitel aberkannt hatte. Sie wolle Amt und Partei nicht durch die Klage belasten, die sie gegen die Universität Düsseldorf führe, begründete die 57-Jährige die Entscheidung. Bundestagsabgeordnete aber bleibt Schavan.
Bei dem kurzen Pressestatement, dass Schavan in Berlin gab, wies sie erneut den Plagiatsvorwurf beharrlich zurück. Allerdings hatte die Politikerin zuvor eingeräumt, dass ihr in ihrer 1980 vorgelegten Doktorarbeit "Flüchtigkeitsfehler" unterlaufen seien. Im Mai 2012 hatte ein anonymer Blogger die Affäre ins Rollen gebracht und Schavan vorgeworfen, an verschiedenen Stellen ihrer Doktorarbeit abgeschrieben und Quellen nicht genannt zu haben. Besondere Dynamik bekam der Fall, weil die Ministerin sich zuvor in der Plagiatsaffäre um den CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg weit aus dem Fenster gelehnt hatte: Sie erklärte, dass sie sich als Wissenschaftlerin "nicht nur heimlich" für Guttenberg schäme. An diesen Worten wurde Schavan nun gemessen.
Einzige Ministerin mit Theologiestudium
Die 57-Jährige war die einzige Ministerin mit Theologiestudium im Kabinett von Merkel. Als frühere Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) kennt sie die katholische Kirche aus dem Effeff. Während die ostdeutsche Naturwissenschaftlerin Merkel die Partei behutsam modernisierte, steht die Theologin Schavan - die Honorarprofessorin für Katholische Theologie an der Freien Universität Berlin (FU) ist - besonders für Werteorientierung:
"Unser C ist nicht Dekoration, es gehört zum Kompass. Beliebigkeit ist kein guter Ratgeber." Das hinderte Schavan allerdings nicht, sich mit den katholischen Bischöfen anzulegen: Bei Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) steckte sie deshalb massive Schelte der Kirchenoberen ein.
Schavan, 1955 im rheinischen Jüchen bei Neuss geboren, studierte von 1977 bis 1980 in Bonn und Düsseldorf katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Anschließend begann sie ihre berufliche Laufbahn bei der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk in Bonn. Nach weiteren Stationen übernahm sie 1991 die Leitung des Begabtenförderungswerks.
Lange galt Schavan in der CDU als Joker, der für viele Ämter gut war. 1995 wurde sie Kultusministerin in Baden-Württemberg. Dort krempelte sie die Schullandschaft um und gewann Profil im Kopftuchstreit. Wolfgang Schäuble holte sie in die Führung der Bundespartei, wo Schavan - unverheiratet und kinderlos - mit dem besten Abstimmungsergebnis eine seiner vier Stellvertreter wurde. 2005 übernahm sie das Amt der Bundesbildungsministerin.
Mit ihrer Doktorarbeit zum Thema "Person und Gewissen" wurde Schavan 1980 promoviert. Darin plädiert sie für die Autonomie des Gewissens sowie für die Verantwortung des Einzelnen. "Ein treu zu seiner Kirche stehender Katholik" müsse in seine "gewissenhafte Prüfung" die objektiven Normen des katholischen Lehramtes mit einbeziehen, heißt es dort. Dennoch dürfe er aber zu einer "von der lehramtlichen Entscheidung abweichenden Auffassung kommen", die er dann auch vertreten und praktizieren dürfe.
Schavan will sich nun auf ihr Bundestagsmandat konzentrieren, erklärte sie am Samstag. Ende Januar hatte die CDU sie in Ulm mit einem Rekordergebnis wieder für den Bundestag nominiert. Ihre Lust auf Politik sei ungebrochen, sagte sie unlängst. Ob das nach wie vor der Fall ist, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen entscheiden.