KNA: Welche Tipps geben Sie Marlehn Thieme, die für Ihre Nachfolge kandidiert, mit auf den Weg?
Bärbel Dieckmann (Präsidentin der Welthungerhilfe, SPD-Politikerin und ehemalige Oberbürgermeisterin von Bonn): Ach, da möchte ich gar keine Ratschläge geben, weil jeder eigene Akzente setzt. Ich konnte meine Erfahrung aus der Politik und als Chefin einer Verwaltung mit über 5.000 Mitarbeitern einbringen.
Marlehn Thieme ist Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung und hat sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Da braucht sie keine Tipps von mir.
KNA: Was nehmen Sie mit aus Ihrem zehnjährigen Engagement an der Spitze der Welthungerhilfe?
Dieckmann: Drei Dinge. Erstens habe ich in all den Jahren kein einziges Projekt erlebt, das die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort nicht verbessert hätte. Zweitens hat mich die enorme Energie beeindruckt, mit der rund 2.500 Mitarbeiter der Welthungerhilfe unter zum Teil schwierigsten Bedingungen tätig sind.
KNA: Und drittens ...?
Dieckmann: ... empfinde ich Hochachtung gegenüber all jenen Männern und vor allem auch gegenüber jenen Frauen, die trotz Hunger und Armut, trotz Krankheiten und Krieg versuchen, ihre Familien durchzubringen und etwas aus ihrem Leben zu machen. Mich haben solche Begegnungen Demut und Dankbarkeit gelehrt. Manchmal wissen wir gar nicht, wie gut wir es in Deutschland haben.
KNA: Wohin blicken Sie derzeit mit besonderer Sorge?
Dieckmann: Natürlich auf den Nordirak, auf Syrien und den Jemen. Gerade im letzten Fall stellt sich die Frage, warum es der internationalen Gemeinschaft nicht gelingt, den blutigen Stellvertreterkrieg zu beenden.
KNA: Wie sieht es in Afrika aus?
Dieckmann: Auch dort leiden Menschen unter teils jahrelangen Konflikten - etwa im Kongo, in der Zentralafrikanischen Republik oder im Südsudan. Mindestens ebenso beunruhigend ist aber noch eine andere Entwicklung.
KNA: Welche?
Dieckmann: Der Klimawandel bedroht die Fortschritte mancher Länder. Missernten, Dürren und Überschwemmungen stellen schon jetzt eine unglaubliche Belastung dar, so für Äthiopien, Kenia oder - um ein Beispiel aus Asien zu nennen - Bangladesch. Diese Staaten müssen die Folgen des Klimawandels tragen, obwohl sie dazu in keiner Weise beigetragen haben. Immerhin ist nach diesem Sommer die Sensibilität für das Thema in Deutschland gewachsen, wie mir scheint.
KNA: Bräuchte es angesichts derartiger Herausforderungen mehr internationale Zusammenschlüsse unter Hilfsorganisationen, wie es sie beispielsweise mit dem "Bündnis Entwicklung Hilft" auf nationaler Ebene bereits gibt?
Dieckmann: Schon jetzt haben wir solche Kooperationen. Die von europäischen Organisationen gebildete Alliance 2015 ist dafür ein Beispiel. Im Jemen unterhält die Welthungerhilfe kein eigenes Büro, dort arbeiten wir mit Partnern zusammen. Wir sollten bei alledem aber nicht die Rolle der UN unterschätzen. Auch die Afrikanische Union gewinnt immer mehr an Profil. Die Möglichkeiten, effektiv Hilfe zu leisten, werden dadurch nicht kleiner.
KNA: Eine Frage an die SPD-Politikerin: In Europa wächst die Tendenz, sich gegen Flüchtlinge abzuschotten. Der soziale Zusammenhalt bröckelt, die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Schwindet die Solidarität?
Dieckmann: Natürlich macht mir eine wachsende Ungleichheit Sorge - die gibt es allerdings auch in vielen Entwicklungsländern, in denen kleine Eliten große Reichtümer anhäufen. Grundsätzlich halte ich wenig von pauschalen Urteilen. Als 2015 so viele Flüchtlinge zu uns kamen, haben die Deutschen geholfen. Viele tun das immer noch.
Zugleich müssen wir uns klar machen: Von den 68 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, kommen nur die wenigsten nach Europa.
KNA: Das heißt in der Konsequenz?
Dieckmann: Dass wir einerseits mehr gegen Fluchtursachen tun müssen. Und dass wir andererseits unser Recht auf Asyl erhalten, anstatt es auszuhöhlen. Migration wird es immer geben.
KNA: Die politische Musik spielt in Berlin - die Welthungerhilfe sitzt in Bonn. Ist das noch sinnvoll?
Dieckmann: Selbstverständlich haben wir ein Berliner Büro, aber wir bleiben in Bonn.
KNA: Da spricht die langjährige Bonner Oberbürgermeisterin.
Dieckmann: Die Arbeitsbedingungen sind nun einmal hervorragend. Angefangen von der Verkehrsanbindung, über die Nähe zu Brüssel mit seinen EU-Institutionen bis hin zu den UN-Einrichtungen, die sich in Bonn niedergelassen haben.
KNA: Warum beenden Sie Ihre Amtszeit zwei Jahre vor dem regulären Ende?
Dieckmann: Das hat rein private Gründe. Außerdem war ich immer schon eine Verfechterin von Amtszeitbegrenzungen.
Das Interview führte Joachim Heinz.