Treffen zwischen Papst und Großajatollah mit Spannung erwartet
Der zweite Besuchstag des Papstes im Irak steht im Zeichen des interreligiösen Dialogs: Mit Spannung blicken Christen und Muslime auf das für Samstag geplante Treffen zwischen Franziskus und dem schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani. Der 90-Jährige verkörpert die moralische Autorität des Irak.
Bis zuletzt blieb unklar, ob die beiden Religionsführer ein gemeinsames Schreiben veröffentlichen. Dies würde an das "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen" anknüpfen, das der Papst 2019 gemeinsam mit dem sunnitischen Großimam Ahmad al-Tayyeb in Abu Dhabi vorstellte.
Ebenfalls für Samstag ist ein hochkarätig besetztes interreligiöses Treffen in der südirakischen antiken Stadt Ur vorgesehen. Sie gilt als Heimat der biblischen Gestalt Abraham, auf die sich Juden, Christen und Muslime gleichermaßen als Stammvater berufen. Gemeinsam mit Franziskus wollen sich Vertreter der unterschiedlichen Religionen an der geschichtsträchtigen Stätte versammeln, um für Frieden und Verständigung zu werben. Am Abend feiert das katholische Kirchenoberhaupt eine Messe in der chaldäischen Kathedrale Bagdads.
Papst warnt Kleriker im Irak vor "Virus der Mutlosigkeit"
Der Papst hat irakische Priester und Bischöfe ermahnt, sich trotz aller Schwierigkeiten nicht vom "Virus der Mutlosigkeit" anstecken zu lassen. Die katholische Gemeinschaft im Irak könne "wie ein Senfkorn" den Lauf des Krisenlandes bereichern, sagte Franziskus am Freitag in der syrisch-katholischen Kathedrale in Bagdad. Bei einem islamistischen Terroranschlag auf das Gotteshaus waren 2010 insgesamt 48 Christen ums Leben gekommen. Für die Getöteten wurde ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet.
Sie hätten den "äußersten Preis für ihre Treue zum Herrn" gezahlt, so das Kirchenoberhaupt in seiner Rede vor Klerikern, Ordensleuten und Katecheten. Das Gedenken an die Opfer ermutige dazu, das Vertrauen auf die Kraft des Kreuzes zu stärken. Zwar seien die seelsorglichen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie noch größer geworden. "Doch niemals darf unser apostolischer Eifer gelähmt oder vermindert werden", betonte Franziskus. Beharrliches Gebet und Treue zum Auftrag der Kirche seien der richtige "Impfstoff", um stets mit Energie voranzuschreiten.
Schwierigkeiten gehörten zur alltäglichen Erfahrung der Iraker, die sich in den vergangenen Jahren Krieg und Verfolgung gestellt hätten. "Ich danke euch, liebe Brüder im Bischofs- und Priesteramt, dass ihr eurem Volk nahe geblieben seid und es unterstützt habt", so der Papst. Aus den uralten Wurzeln und der ununterbrochenen Präsenz der Kirche im Nahen Osten könne man neue Kraft ziehen.
Ein lebendiger Glaube an Christus sei "ansteckend" und könne die Welt verändern. Darum lohne es sich, den Einsatz als Seelsorger unvermindert fortzusetzen, so Franziskus. Dabei sei "jede Art von Egozentrik und Konkurrenz" zu vermeiden. Die Liebe Christi dränge vielmehr zu einer "universalen Zusammengehörigkeit". Die verschiedenen Kirchen im Irak seien "wie viele einzelne bunte Fäden, die, miteinander verflochten, einen einzigen wunderschönen Teppich ergeben". Dieses Zeugnis geschwisterlicher Einheit gelte es zu bewahren.
Beim Besuch in der Kathedrale traf der Papst auch die Patriarchen der syrisch-katholischen Kirche von Antiochien, Ignatius Youssef III. Younan, sowie den chaldäisch-katholischen Patriarchen Kardinal Louis Raphael I. Sako. Beide hießen den Argentinier mit kurzen Grußworten willkommen und hoben die große Bedeutung des Besuchs für die Christen der Region hervor.
Sunnitischer Großimam Al-Tayyeb würdigt "mutigen" Papstbesuch
Der derzeitige Besuch von Papst Franziskus im Irak hat auch den Segen des sunnitischen Großimams Ahmad al-Tayyeb aus Ägypten. "Die historische Reise meines Bruders @Pontifex in den Irak sendet eine Botschaft von Frieden, Solidarität und Unterstützung für alle Iraker", schreibt der Großimam der Al-Azhar-Moschee und -Universität in Kairo laut dem Portal Vatican News (Freitag) auf seinem Twitter-Account.
Al-Tayyeb gehört zu den höchsten Lehrautoritäten im sunnitischen Islam. Im Verlauf seiner Reise trifft Papst Franziskus am Samstag auch den schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani.
Er bete zu Allah um Erfolg für den Besuch von Franziskus "und dass seine Reise das gewünschte Ergebnis haben wird, um auf dem Pfad der menschlichen Geschwisterlichkeit weiterzugehen", so der Großimam.
Papst Franziskus und Großimam al-Tayyeb pflegen seit längerem einen von gegenseitigem Respekt geprägten Religionsdialog. Im Februar 2019 unterzeichneten die beiden in Abu Dhabi ein "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen". In dem Schreiben, das als wegweisend für den interreligiösen Dialog gilt, wird Gewalt im Namen der Religion eine deutliche Absage erteilt.
Der Name Gottes könne nicht benutzt werden, um "Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen", heißt es in dem Dokument. Am Freitag zitierte Papst Franziskus diese Passage auch bei seiner ersten öffentlichen Ansprache im Präsidentenpalast von Bagdad.
Großajatollah al-Sistani (90) ist der wohl wichtigste Schiitenführer außerhalb des Iran. Von der Begegnung in Nadschaf erhoffen sich Beobachter eine Intensivierung des Dialogs auch mit der schiitischen Strömung des Islam. Schiiten machen nur 10 bis 13 Prozent aller Muslime weltweit aus. Sie stellen allerdings die Bevölkerungsmehrheit in Iran und Irak.
Papst im Irak angekommen
Zum Auftakt seiner viertägigen Irak-Reise hat Papst Franziskus die Bevölkerung des Krisenlandes zu Frieden und "geschwisterlichem Zusammenleben" aufgefordert. Ein wirksamer Prozess des Wiederaufbaus sei nur möglich, wenn man sich trotz aller Unterschiede als "Mitglieder der einen Menschheitsfamilie" sehe, mahnte er am Freitag in Bagdad. Es sei "genug mit Gewalt, Extremismus, Gruppenbildungen und Intoleranz"; die Waffen sollten endlich schweigen, so Franziskus.
In seiner Rede vor Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft im Präsidentenpalast würdigte das Kirchenoberhaupt die Vielfalt im Irak. Er sprach von einer "Wiege der Zivilisation", die durch den gemeinsamen Stammvater Abraham Juden, Christen und Muslime eng miteinander verbinde. Die verschiedenen Religionen, Kulturen, Ethnien seien eine jahrtausendealte "wertvolle Ressource" und kein Hindernis. Nicht zuletzt die Präsenz der Christen stelle ein "reiches Erbe" dar, das es zu bewahren gelte.
Harmonisches Zusammenleben funktioniere aber nicht ohne einen geduldigen und aufrichtigen Dialog, so der Papst. Dieser Prozess müsse "von Gerechtigkeit und der Achtung des Rechts" geschützt werden. Das sei keine leichte Aufgabe.
Nach blutigen Protesten 2019/2020 strebt der von jahrelangem Krieg, Terror und Aufständen geplagte Irak Parlamentswahlen im Oktober an. Immer wieder kommt es aber zu Gewalt - auch zwischen den religiösen Gruppen der Region. Zusätzlich belastend wirken sich die Folgen der Corona-Pandemie aus; die Infektionszahlen nahmen zuletzt deutlich zu.
Franziskus appellierte an alle Verantwortlichen, ihre "Rivalitäten und Gegensätze zu überwinden". Niemand dürfe als Bürger zweiter Klasse angesehen werden. "Gott lasse uns als Brüder und Schwestern gemeinsam unterwegs sein", so der Papst. Denn die wahre Lehre der Religion sei vor allem eine Einladung zum Frieden. Der Name Gottes dürfe keinesfalls dazu benutzt werden, Mord, Terror und Unterdrückung zu rechtfertigen.
Er komme als "Pilger des Friedens" und "als Büßer", betonte der Papst vor den Politikern und Diplomaten. Als solcher bitte er "den Himmel und meine Brüder und Schwestern um Vergebung für so viel Zerstörung und Grausamkeit" in den vergangenen Jahren. Kriege, die "Geißel des Terrorismus" und fundamentalistisch geprägte konfessionelle Konflikte hätten dem Irak "Tod, Zerstörung und Trümmer" beschert.
Franziskus hob beispielhaft das Schicksal der Jesiden hervor: "unschuldige Opfer sinnloser und unmenschlicher Barbarei, die wegen ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt und getötet wurden und deren Identität und Überleben selbst gefährdet war". Nun sei es an der Zeit, jenen mehr Raum zu geben, die sich für Versöhnung einsetzen, forderte der 84-Jährige. Der internationalen Gemeinschaft komme dabei eine wichtige Rolle zu.
Die Regierung des Irak soll sich nach seinen Worten um mehr Bildungschancen für die Bevölkerung bemühen. Auch brauche es effektive Maßnahmen gegen Armut und Arbeitslosigkeit, damit alle ein würdevolles Leben führen könnten. "Nach einer Krise ist es mit einem Wiederaufbau nicht getan - dieser muss auch gut gemacht sein", so der Papst. Der "Geist geschwisterlicher Solidarität" könne nur wirken, wenn Korruption, Machtmissbrauch und Illegalität bekämpft würden.
Unmittelbar vor seiner Rede war Franziskus mit Staatspräsident Barham Salih zusammengetroffen. Die Anwesenheit des obersten Repräsentanten der katholischen Kirche erfülle die Iraker mit Stolz, sagte Salih bei der Begrüßung. Auch er sprach sich für religiöse Toleranz aus und sagte Terror und Extremismus den Kampf an. Die Christen des Landes hätten viel Leid erfahren müssen. Doch sie würden gebraucht, um den Irak zu einem "Ort der Harmonie" zu machen. Der Orient sei ohne Christen "nicht vorstellbar", so der Präsident. Er hoffe daher auf eine Rückkehr der vielen Ausgewanderten und Vertriebenen.
Während des Flugs hatte Franziskus vor Journalisten erklärt, der Besuch im Irak sei "eine Pflicht gegenüber einem seit vielen Jahren gemarterten Land". Die aktuelle Auslandsreise von Franziskus ist die erste nach einer eineinhalbjährigen Pause. Sie findet unter schwierigen Pandemie- und Sicherheitsbedingungen statt.
Für den Nachmittag war eine Begegnung des Papstes mit Bischöfen, Priestern und Ordensleuten in der Sayidat-al-Nejat-Kathedrale vorgesehen.
Kardinal Marx: Irak-Reise des Papstes wichtiges Signal
Die Irak-Reise von Papst Franziskus ist nach den Worten des Münchner Kardinals Reinhard Marx ein wichtiges Signal gerade in Zeiten der Corona-Pandemie. "Bei all unseren nationalen und europäischen Überlegungen in der Corona-Krise beachten wir ein Land wie Irak viel zu wenig, in dem die Menschen aber große Not leiden und unsere Solidarität brauchen", sagte Marx in der Reihe "Zum Sonntag" des Bayerischen Rundfunks, der am Samstag gesendet wird. Schon durch die Ankündigung seiner Reise schaffe Franziskus Aufmerksamkeit für ein Land, in dem die Menschen besonders litten.
Dabei gehe es auch um das Überleben der christlichen Minderheit im Irak, die in Not und bedrängt sei, so der Erzbischof von München und Freising weiter. "Wir können sie stärken, indem wir nicht nachlassen, für sie zu beten, und uns auch politisch für eine Verbesserung ihrer Situation einsetzen."
Zugleich erinnere die viertägige Reise an den Auftrag der Religionen, zum Frieden beizutragen. Das universale Menschenrecht der Religionsfreiheit gelte unabhängig davon, ob eine Glaubensgemeinschaft die Mehr- oder Minderheit bilde. "Diese unbedingte Anerkennung ist für den Zusammenhalt der Menschheit sehr bedeutsam, und deshalb kann und muss ein Dialog, ja mehr noch eine Freundschaft zwischen den Religionen, zum Frieden beitragen", so Marx.
Aufbruch am Morgen
Papst Franziskus ist am Freitagmorgen zu seiner 33. Auslandsreise aufgebrochen. Die Alitalia-Maschine mit der Flugnummer AZ 4000 hob um 7.45 Uhr vom Flughafen Rom-Fiumicino in Richtung Bagdad ab. Die Ankunft ist für 14.00 Uhr (Ortszeit) vorgesehen. Es ist der erste Besuch eines Katholikenoberhaupts in dem von Kriegen gezeichneten und wenig geeinten islamischen Land.
Kritik an der Reise wegen der prekären Sicherheitslage und steigender Corona-Zahlen im dem Land widersprach Franziskus vor seiner Abreise mit dem Argument, die Iraker dürften nicht ein weiteres Mal enttäuscht werden. Papst Johannes Paul II. hatte einen im Jahr 2000 geplanten Besuch in dem Nahost-Land wegen politischer Spannungen abgesagt.
Er reise als "Pilger des Friedens" in den Irak, schrieb der Papst kurz nach dem Start in einem Abschiedstelegramm an Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella. Die Visite findet in einer prekären Sicherheits- und Pandemielage statt. Wie der Vatikan mitteilte, traf sich Franziskus kurz vor Reisebeginn in seiner Residenz Santa Marta mit zwölf irakischen Geflüchteten. Die Betroffenen haben mithilfe der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio in Italien Zuflucht gefunden.
In Bagdad wird der Papst am Freitag eine Ansprache an Vertreter aus Politik, Diplomatie und Zivilgesellschaft richten. Bei Unterredungen mit Staatspräsident Barham Salih und Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi dürfte es auch um die nationale Einheit des Landes gehen, das nach blutigen Protesten 2019/2020 Parlamentswahlen im Oktober anstrebt.
Kurz vor Beginn seiner viertägigen Irak-Reise hat Papst Franziskus am Donnerstagnachmittag in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore für das Gelingen seines Besuches gebetet. Das vatikanische Presseamt verbreitete ein Foto, das ihn in andächtiger Haltung vor der Ikone "Salus populi romani" zeigt. Traditionell begibt Franziskus sich vor und nach jeder Auslandsreise zu der von ihm geschätzten Marien-Ikone.
Islamwissenschaftler erwartet Impuls von Papstreise in den Irak
Der Islamwissenschaftler und Jesuit Felix Körner erwartet von der Reise von Papst Franziskus in den Irak einen Impuls für den interreligiösen Dialog. Es sei das erste Mal, dass ein Papst ein überwiegend schiitisches Land besuche, betonte Körner, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana lehrt, im Vorfeld der am Freitag beginnenden viertägigen Visite. Franziskus werde auch von vielen Muslimen als jemand wahrgenommen, der Versöhnung stiften und eine Hand reichen wolle.
Das Treffen mit Großajatollah Ali al-Sistani in Nadschaf werde zu einem "Sympathiegewinn" führen, meinte Körner. Der Papst bringe den Schiiten die Botschaft: "Ich kenne euer Leid." Ein Schlüssel, um in der Verständigung weiterzukommen, sei, "die andere Seite auch als verletzte Seite, um Versöhnung ringende Seite zu verstehen".
Auch im benachbarten Iran könne der Papst positive Aufmerksamkeit erzeugen. Die überwiegend schiitische Bevölkerung dort sei "erstaunlich wenig islamisch identifiziert", sagte Körner. Zunehmend stünden iranische Musliminnen und Muslime ihrer Religion und den Institutionen kritisch gegenüber; viele seien "wegen ihrer eigenen Oberhäupter" enttäuscht. Sie könnten mit Franziskus darauf verweisen, wie man Glauben auch in Bescheidenheit und "ohne politische Machtmittel" bezeugen könne.
Körner äußerte den Wunsch nach einer Intensivierung des interreligiösen Dialogs seitens des Vatikan. "Was der Papst jetzt macht, ist auch vorbildlich für den Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog, nämlich Problemfelder proaktiv anzugehen", sagte der Jesuit. Bislang sei der Rat gemessen an seinen Aufgaben "relativ dünn besetzt". Die Einrichtung solle mehr Personal bekommen - auch "wirkliche Islamwissenschaftler". Es stecke "viel Potenzial drin", auch mit Blick auf neue Dialogformate abseits des theologischen Gesprächs, sagte Körner.
Grüne bezeichnen Papst-Reise in den Irak als "historisch"
Die Grünen haben den Irak-Besuch von Papst Franziskus begrüßt. Es sei ein wichtiger Besuch zur richtigen Zeit, sagte deren Sprecher für Außenpolitik, Omid Nouripour, am Donnerstag in Berlin. Der Besuch des Papstes im Irak sei "historisch". Zum ersten Mal überhaupt besuche ein Oberhaupt der katholischen Kirche den heutigen Irak, so Nouripour. Mit der Stadt Ur befinde sich dort die Geburtsstädte Abrahams und damit des Stammvaters von Christen, Muslimen und Juden. Der Besuch habe daher große Symbolik und setze ein starkes Zeichen für die Notwendigkeit von Dialog und Zusammenarbeit zwischen den Religionen.
Gleichzeitig werde durch den Besuch auch die Aufmerksamkeit auf die Lage der Christen im Irak gelenkt. Dass von den etwa 1,5 Millionen 2003 noch im Irak lebenden Christen heute nur noch schätzungsweise 200.000 bis 400.000 dort lebten, sei "bitter". Gewalt durch sunnitische und schiitische Extremisten ist der Hauptgrund für diese Entwicklung. Insbesondere die massenhafte Ermordung von Christen, Jesiden und Muslimen durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) werde das Zusammenleben im Irak noch lange beeinflussen.
Papst kommt als "Pilger der Hoffnung" in den Irak
Papst Franziskus versteht sich bei seinem am Freitag beginnenden Irak-Besuch auch "als bußfertiger Pilger". Er komme, "um nach Jahren des Krieges und des Terrorismus vom Herrn Vergebung und Versöhnung zu erflehen", wolle Gott um "Trost der Herzen und Heilung der Wunden" bitten, sagte das Kirchenoberhaupt in einer am Donnerstag verbreiteten Video-Botschaft. Zudem ruft er darin Christen, Muslime und Jesiden zum gemeinsamen Einsatz für den Wiederaufbau des Landes auf.
"Ich komme jetzt in Euer gesegnetes und verwundetes Land als Pilger der Hoffnung", so der Papst. Die Menschen sollten sich anstecken lassen von einer "Hoffnung, die uns ermutigt, wieder aufzubauen und neu zu beginnen". Man möge "in diesen schweren Zeiten der Pandemie" einander helfen, "Geschwisterlichkeit zu stärken, um gemeinsam eine Zukunft des Friedens aufzubauen".
An die Christen im Irak gewandt, sagte Franziskus: "Ich fühle mich geehrt, einer Kirche der Märtyrer zu begegnen: Danke für Ihr Zeugnis!" Die "vielen, viel zu vielen Märtyrer" sollten "uns helfen, in der demütigen Kraft der Liebe auszuharren". Keinesfalls dürfe man aufgeben angesichts des weit verbreiteten Bösen.
Kardinal Sako: Dem Westen sind die Christen im Irak egal
Der chaldäisch-katholische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako wirft den westlichen Staaten Gleichgültigkeit mit Blick auf das Schicksal der Christen in Nahost vor. "Der Westen schert sich nicht um die Lage der Christen im Irak", sagte er der Mediengruppe "Quotidiano Nazionale" (Donnerstag). "Seit Jahrhunderten haben wir unseren Glauben mit dem Blut des Martyriums bezeugt - in einem Klima großer Gleichgültigkeit", so der irakische Geistliche.
Das Volk erwarte den Papst sehnsüchtig, versicherte Sako. Der Besuch werde dazu beitragen, die politische und gesellschaftliche Lage weiter zu stabilisieren. Um die Sicherheit von Franziskus macht sich der Kardinal keine großen Sorgen: Zwar gebe es "radikalisierte Personen", aber der Papst sei angesichts der umfangreichen Schutzvorkehrungen "nicht in Gefahr". Ohnehin habe sich die Situation der Christen zuletzt verbessert. "Wir hören keine Hasspredigten mehr gegen uns", sagte Sako.
Die USA und andere westliche Mächte hätten indes wenig Gutes bewirkt. Der Patriarch wirft ihnen vor, in den vergangenen Jahrzehnten "Konflikte und Spannungen für ihre wirtschaftlichen Interessen geschürt" zu haben. Zwar werde von Menschenrechten gesprochen, in Wahrheit aber gehe es um andere Dinge. So sei durch die US-Invasion 2003 die irakische Armee zerstört worden, "so dass im nächsten Jahrzehnt Anarchie herrschte". Tausende von Christen hätten dadurch ihr Leben verloren.
Appell der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) hat an Papst Franziskus appelliert, auf seiner Irak-Reise mit deutlichen Worten für Gleichberechtigung aller religiösen Strömungen einzutreten. Die Sicherheitslage in dem Land sei "sehr fragil", insbesondere für religiöse Minderheiten wie Christen, Juden, Jesiden und schiitische Muslime in der Autonomen Region Kurdistan oder in der Ninive-Ebene. Den Besuch des Papstes trotz Terrorgefahr würdigte die in Frankfurt ansässige Organisation am Donnerstag als "mutigen Entschluss".
IGFM-Präsident Thomas Schirrmacher erklärte, weder Kräfte der irakischen Zentralregierung noch der kurdischen Autonomieregion seien imstande gewesen, Christen, Jesiden und Schiiten vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu schützen. Jetzt drohe der Exodus von etwa 150.000 bis 250.000 verbliebenen Christen. "Die volle Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften ist die Basis für friedliche Entwicklung", so Schirrmacher. Dies solle Franziskus in Bagdad und Erbil thematisieren.
Einsatz für interreligiöse Verständigung
Der Papst will sich bei seiner bevorstehenden Irak-Reise für interreligiöse Verständigung einsetzen. Das irakische Volk habe so viel Leid in den vergangenen Jahren erfahren, deshalb halte er die Durchführung seiner Reise für nicht aufschiebbar.
Er werde gemeinsam mit anderen Religionsführern "einen weiteren Schritt in Richtung Brüderlichkeit" gehen, sagte Papst Franziskus am Mittwoch bei seiner wöchentlichen Videoansprache im Vatikan. Er habe dem irakischen Volk, das so viel Leid hinter sich habe, schon lange begegnen wollen.
Biblische Städte
Der Papst sprach mit Blick auf die Christen im Irak von einer "Märtyrerkirche im Lande Abrahams". Bereits sein Vorgänger Johannes Paul II. habe die biblischen Städten des Krisengebiets besuchen wollen. Dies sei leider nicht möglich gewesen. Nun dürfe man das irakische Volk nicht zum zweiten Mal enttäuschen, betonte Franziskus.
Am Freitag wird Papst Franziskus zu der viertägigen Reise aufbrechen. Mit Spannung wird vor allem das geplante Treffen mit Großajatollah Ali al-Sistani in Nadschaf erwartet. Im Land herrscht eine prekäre Sicherheitslage. Der Sieben-Tages-Wert der Corona-Infektionen ist seit Anfang Februar um das Viereinhalbfache gestiegen.
Religionsbeauftragter Grübel: Papstreise in den Irak historisch
Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel (CDU), nennt die erste Reise eines Papstes in den Irak "ein historisches Ereignis". Mit seinem Besuch in eines der ältesten Siedlungsgebiete des Christentums sende Franziskus "ein starkes Signal der Unterstützung an die christliche Minderheit im Irak" und ein "Zeichen für das friedliche Zusammenleben aller religiösen Gruppen im Land", erklärte Grübel am Mittwoch in Berlin.
Dass Franziskus den Irak als Ziel seiner ersten Reise seit Beginn der Corona-Pandemie gewählt habe, spende "den irakischen Christen Hoffnung und unterstreicht die historische Verbundenheit des Christentums mit dem Irak", erklärte der Politiker weiter.
Treffen mit Großajatollah Ali al-Sistani
Der Besuch des Papstes im multireligiösen und multiethnischen Zweistromland schärfe das Bewusstsein der Menschen für das friedliche Zusammenleben über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. Der Besuch biete auch Gelegenheit, auf die zum Teil prekäre Lage der Christen und weiterer Minderheiten im Land hinzuweisen.
Viele religiöse Minderheiten, darunter Christen und Jesiden, hätten auch nach Ende der Gewaltherrschaft des sogenannten Islamischen Staats (IS) nicht in ihre Heimatgebiete zurückkehren können, ergänzte Grübel. Besonders in der Ninive-Ebene, der historischen Heimat vieler religiöser Minderheiten, litten die Menschen noch immer unter Diskriminierung und Gewalt. Auch die Aufarbeitung der IS-Verbrechen und die Versöhnung zwischen Ethnien und Religionen bleibe eine große Herausforderung.
Das geplante Treffen zwischen Papst Franziskus und Großajatollah Ali al-Sistani nannte der Religionsbeauftragte "ein wichtiges Signal für den christlich-schiitischen Dialog und für das friedliche Zusammenleben der Religionen im Irak".
Menschenrechtler: Papst soll sich im Irak für Christen einsetzen
Nach Ansicht von Menschenrechtlern soll der Papst sich bei seinem bevorstehenden Besuch im Irak für echte Glaubensfreiheit und für die christlichen und anderen Minderheiten in dem Land einsetzen. Vor allem Angehörige der Minderheiten hofften, dass der Papst die Zentralregierung in Bagdad und die Regionalregierung in Kurdistan für die Sorgen der christlichen, jesidischen, mandäischen und anderen Gemeinschaften sensibilisieren könne, sagte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, am Mittwoch in Göttingen.
"Religiöse Minderheiten leiden seit Jahren unter Angriffen radikalislamistischer Gruppen sunnitischer oder schiitischer Prägung", sagte Sido. "Sie hoffen daher auf ein Signal, dass ihnen ein Gefühl der Sicherheit in ihrer historischen Heimat gibt."
Zahl der Christen im Irak sinkt weiter
Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker garantiert die irakische Verfassung vom Oktober 2005 zwar grundsätzlich Glaubensfreiheit. Gleichzeitig werde der Islam zur Staatsreligion erklärt. Auch dürfe kein Gesetz verabschiedet werden, das gegen die Vorschriften des Islam und seines Rechtssystems verstoße.
Diese Diskrepanz ist ein nahezu unlösbares rechtliches Problem, mit dem christliche, aber auch andere nicht-muslimische Gruppen sowie Frauen im Irak zu kämpfen haben", betonte Sido. "Das Scharia-Recht ist ein zentraler Bezugspunkt bei der Verabschiedung von Gesetzen geblieben, die nicht nur für Muslime, sondern für alle gelten." Konservative Richter und Parlamentsmehrheiten schiitischer und sunnitischer Parteien täten ihr Übriges, die Freiheiten religiöser Minderheiten einzuschränken.
Der Menschenrechtsorganisation zufolge sinkt die Anzahl an Christen im Irak weiter. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung sei von mehr als drei Prozent im Jahr 2003 auf weniger als ein Prozent gesunken. Von ursprünglich 500 Kirchen seien noch 57 geöffnet, doch auch dort blieben sonntags meist die Bänke leer. Nur im kurdischen Teil des Landes gebe es noch mehr christliches Leben.
Gemeinsame Botschaft von Hilfswerken zur Papstreise in den Irak
Das katholische Hilfswerk missio Aachen und weitere 28 im Irak tätige Hilfsorganisationen haben eine interreligiöse Botschaft unterzeichnet. Darin bekennen sie sich dazu, "im Irak den Menschen allein aufgrund ihrer Bedürfnisse zu helfen und dabei jede Form von Diskriminierung zurückzuweisen", heißt es in dem Dokument zum geplanten Besuch des Papstes, das laut missio am Mittwoch bei einem Parlamentariergespräch zwischen Bundestagsabgeordneten und Vertretern der Kirchen im Irak vorgestellt werden sollte.
Alle Hilfsorganisationen wollen demnach in ihrer Arbeit "die kulturellen Werte und religiösen Überzeugungen der verschiedenen Gruppen achten". Sie möchten weiter "religionsübergreifende Initiativen und Ansätze stärken, die zum sozialen Zusammenhalt beitragen". Und die Organisationen verpflichten sich, "die Zusammenarbeit untereinander zu stärken, um allen zu helfen, die in Not sind und die gemeinsame Berufung zur Solidarität im Alltag zu leben".
"Ihr seid alle Brüder"
Den Unterzeichnern zufolge ist die interreligiöse Initiative von Papst Franziskus und seiner Botschaft "Ihr seid alle Brüder" zur Irakreise die notwendige Voraussetzung dafür, "die Wunden der Vergangenheit zu heilen und eine gemeinsame Zukunft für alle unterschiedlichen Gemeinschaften" im Irak aufzubauen.
Das Land sei eine Wiege der Menschheit und ein wunderschönes, kulturell reiches Land mit einer großen religiösen Vielfältigkeit. Seit Jahrhunderten lebten viele verschiedene Ethnien und Glaubensgemeinschaften friedlich zusammen.
Viele Organisationen sind beteiligt
In den vergangenen Jahrzehnten habe der Irak aber unter Krieg, Unsicherheit, Instabilität und zuletzt unter dem Aufstieg des "Islamischen Staates" gelitten. "Diese dauernde Abfolge von Konflikten hat die Beziehungen der verschiedenen Gemeinschaften stark belastet", schreiben die Autoren. Deshalb sei der Besuch des Papstes ein wichtiges Zeichen.
Zu den insgesamt 29 Hilfsorganisationen aus unterschiedlichen Religionen und Glaubensrichtungen, die im Irak tätig sind und die "Gemeinsame Interreligiöse Botschaft zum Besuch von Papst Franziskus im Irak" unterzeichnet haben, gehören laut missio Aachen unter anderen Caritas Deutschland und Irak, Malteser International, Islamic Relief Worldwide, Lutheran World Federation und World Vision International.
Kardinal Sandri: Papst reist als Friedensbote in den Irak
Papst Franziskus reist nach den Worten von Kurienkardinal Leonardo Sandri in erster Linie als Friedensbote ins Krisenland Irak. Das Kirchenoberhaupt wolle zeigen, dass "eine neue Welt ohne Gewalt und Hass" möglich sei, sagte der Kardinal dem katholischen Informationsdienst SIR (Mittwoch).
Mit dem Besuch des Kirchenoberhaupts gehe ein Traum in Erfüllung, so der Leiter der vatikanischen Ostkirchenkongregation. Es gehe darum, Juden, Christen und Muslime näher zusammenzubringen. Die drei Weltreligionen beriefen sich gleichermaßen auf den Stammvater Abraham, dessen Heimat der Irak gewesen sei. Dies sei ein "einendes Band", das als Grundlage einer friedlichen Koexistenz der Weltreligionen dienen könne.
"Er kommt für alle Iraker"
Auf die Frage, ob Papst und Großajatollah möglicherweise ein gemeinsames Dokument veröffentlichen könnten, antwortete Sandri: "Das liegt in Gottes Hand." Er selbst sehe schon in der bloßen Begegnung der beiden Religionsführer ein wichtiges Signal für die Zukunft.
Sandri betonte, dass Franziskus auch den zahlreichen irakischen Christen Respekt zollen werde, die vom "Islamischen Staat" getötet worden seien. Dies werde die ganze Welt daran erinnern, dass der Glaube an Christus bisweilen im Martyrium enden könne.
Ebenfalls am Mittwoch meldete sich der chaldäisch-katholische Patriarch Kardinal Louis Raphael I. Sako zu Wort. Im Interview des vatikanischen Nachrichtendienstes Fides berichtete er angesichts der bevorstehenden Papstreise über "außergewöhnliche Begeisterung" im Irak: "Manchmal scheint es fast, dass die Muslime glücklicher sind als die Christen." Überall im Land gebe es Willkommens-Plakate. Franziskus komme nicht, um Partei für die Christen zu ergreifen, versicherte Sako. "Er kommt für alle Iraker."