Entwicklungs- und Schwellenländer geben einem aktuellen Bericht zufolge so viel für die Begleichung von Schulden und Zinsen aus wie nie zuvor.
Mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag zahlen verschuldete Staaten aus dem sogenannten Globalen Süden dafür an ausländische Gläubiger, wie aus dem am Dienstag vorgelegten diesjährigen Schuldenreport des katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor und des Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de hervorgeht.
130 der untersuchten Ländern seien leicht kritisch verschuldet
130 von 152 untersuchten Ländern weltweit seien zumindest leicht kritisch verschuldet, 24 von ihnen sogar sehr kritisch. "In 45 Staaten fließen mehr als 15 Prozent der Staatseinnahmen in den Schuldendienst", erklärte die politische Koordinatorin von erlassjahr.de, Kristina Rehbein.
Der Bericht verweist auf Erhebungen der Vereinten Nationen, nach denen mehr als 3,3 Milliarden Menschen in Ländern leben, die mehr für die Begleichung von Schulden und Zinsen als für Bildung und Gesundheit ausgeben.
55 Prozent der untersuchten Länder befänden sich in einer kritischen oder sehr kritischen Verschuldungssituation, sagte Misereor-Experte Klaus Schilder. Vor der Corona-Pandemie seien es nur 37 Prozent gewesen.
Umfassende Schuldenerlasse als Ausweg
"Umfassende Schuldenerlasse könnten einen Ausweg aus der Schuldenkrise bieten." Ohne solche Schuldenstreichungen rückten die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung für die betroffenen Länder in unerreichbare Ferne, so Schilder.
"Zentraler Maßstab muss sein, dass die Menschenrechte in den Schuldnerländern wieder in den Vordergrund rücken, und nicht die Profitinteressen der Gläubiger", sagte Rehbein. Die Bundesregierung solle ein Gesetz zur besseren Beteiligung von privaten Gläubigern an Schuldenerleichterungen umsetzen.
Von der Bundesregierung fordern Misereor und erlassjahr.de zudem, dass sie sich bei der Weltklimakonferenz im November in Aserbaidschan dafür einsetzt, Schuldenerleichterungen als ein Mittel zur Stärkung der Klimaschutzfinanzierung auf den Weg zu bringen. Außerdem solle die Regierung endlich den politischen Grundstein für ein Staateninsolvenzverfahren legen.
"Tickende Zeitbombe" für die Stabilität der Weltwirtschaft
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte, die dramatische Überschuldung sei zu einem enormen Entwicklungshindernis geworden und sei für die Stabilität der Weltwirtschaft eine "tickende Zeitbombe". Die Suche nach schnellen und nachhaltigen Lösungen sei "nicht nur für die überschuldeten Entwicklungsländer zentral - sondern auch in unserem Interesse", so die Ministerin zu den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
China sei mittlerweile der größte staatliche Gläubiger armer Länder geworden. Neben China müssten aber auch private Gläubiger besser in die Pflicht genommen werden. Innerhalb der Bundesregierung werde derzeit geprüft, wie das am besten gelingen könne.
In einigen Ländern hat sich die Schuldenlage etwas verbessert
In einigen Ländern hat sich die Schuldenlage im Vergleich zum Vorjahr derweil auf den ersten Blick sogar etwas verbessert. Vor einem Jahr hatte der Bericht statt 24 noch 40 Staaten als sehr kritisch verschuldet eingestuft. Allerdings gehen die Autoren davon aus, dass die Situation auch in den Ländern, die nun nur noch als kritisch angesehen würden, weiterhin angespannt bleibe.
Die leichte Verbesserung sei vor allem darauf zurückzuführen, dass dort die Wirtschaft nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder gewachsen sei, hieß es. Vorläufigen Daten zufolge habe das Wirtschaftswachstum 2023 jedoch wieder deutlich unter dem Niveau von 2022 gelegen.
Daher sei nicht davon auszugehen, dass sich die Verschuldungssituation ohne Erlasse oder schmerzhafte Kürzungen auf Kosten der Bevölkerung entspannen werde.