domradio.de: Im Vorfeld der Segnung des Gotthard-Tunnels gab es ordentlich Aufregung. Wer hat sich denn da mit wem gestritten?
Evelin Baumberger (Redakteurin für Kirche und Gesellschaft beim Schweizer "Radio Life Channel"): Die christlichen Kirchen haben sich trauriger Weise untereinander gestritten. Es gibt die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz - da sind die Landeskirchen, die Orthodoxen und die Katholiken dabei. Gemeinsam hatten sie einen Vertreter für die christliche Seite für die Segnung des Tunnels nominiert. Das ist ein Katholik. Da gab es dann von reformierter Seite Kritik, dass kein Reformierter dabei sein sollte.
domradio.de: Man konnte sich also nicht friedlich einigen?
Baumberger: Von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen wurde im Nachhinein gesagt, das sei schlecht kommuniziert gewesen. Die christlichen Kirchen hatten sich in der Arbeitsgemeinsschaft auf den sehr beliebten ehemaligen Abt Martin Werlen geeinigt. Das wurde anscheinend nicht gut kommuniziert, sodass sich die Reformierten benachteiligt fühlten.
domradio.de: Wer war dann am Ende dabei?
Baumberger: Am Ende war Martin Werlen dabei. Außerdem ein Imam, ein Rabbiner, ein Religionsloser - und eine reformierte Pastorin.
domradio.de: Wie lief dann die Segnung ab?
Baumberger: Der Religionslose - ein Mann vom Bundesamt für Verkehr - hat den Schwerpunkt auf das Vertrauen in die Macht des Guten im Menschen gelegt. Der Tunnel solle verschiedene Kulturen und Sprachen vereinigen. Der Rabbiner hat eine Stelle aus dem Alten Testament zitiert. Der Imam hat für Sicherheit und Brüderlichkeit in der Schweiz gebetet, und dass die Leute, die sich auf die Reise durch den Tunnel begeben, Frömmigkeit und Respekt vor Gott erhalten. Die evangelische Pastorin hat besonders auch an die Arbeiter gedacht, die beim Bau des Tunnels gestorben sind. Am Schluss hat sie gesagt, dass jetzt Wasser versprengt wird - als Zeichen des Lebens, des Vertrauens und der Freude. Der ehemalige Abt Martin Werlen hat dann nur noch dieses Wasser versprengt. Er hat gar nichts mehr gesagt. Und ich werte das als Zeichen der Einheit der beiden christlichen Konfessionen.
domradio.de: Aus reformierten Kreisen gab es im Vorfeld Kritik daran, dass ein Bauwerk gesegnet wird. Spricht das den Schweizern aus der Seele?
Baumberger: Ich glaube, das ist ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den beiden Konfessionen. In der katholischen Kirche werden Objekte gesegnet, auch Tiere teilweise. Bei den Reformierten ist man das gar nicht gewohnt. Das ist jetzt in der Segnung des Tunnels gut dadurch aufgehoben worden, dass die Pastorin vor allem die Menschen in den Fokus genommen hat. Im Tunnel gibt es aber weiterhin einen katholischen Teil, nämlich zwei Statuen der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Tunnelbauer.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.