Schwester Katharinas Erinnerungen an Meisner

Mutmacher für Jugendliche in der DDR

In Köln haben in den vergangenen Tagen viele Menschen Abschied vom verstorbenen Alt-Erzbischof Joachim Kardinal Meisner genommen. Unter ihnen war auch Schwester Katharina Hartleib, Franziskanerin aus Olpe. Sie erinnert sich an ihn zurück.

Joachim Kardinal Meisner (dpa)
Joachim Kardinal Meisner / ( dpa )

domradio.de: Sie kannten Kardinal Meisner noch aus einer ganz anderen Zeit, nämlich aus der DDR. Erinnern Sie sich noch, wo Sie ihn als Priester zum ersten Mal erlebt haben?

Schwester Katharina Hartleib (Olper Franziskanerin): Ja, ich erinnere mich gut. Er ist 1975 zum Bischof geweiht worden und war dann Weihbischof von Erfurt. Ich bin aus dem Bistum Erfurt. Als Jugendliche ab 14 Jahren sind wir jedes Jahr zu der riesengroßen Jugendwallfahrt zum Erfurter Domberg gefahren. Da habe ich ihn zum ersten Mal erlebt. Ich muss sagen, er hat mich unglaublich beeindruckt. Wir waren völlig überrascht, etwas ganz anderes zu hören - und so im Klartext, wie wir es in der DDR gar nicht gewohnt waren.

domradio.de: Was macht diese "Power" denn aus?

Schwester Katharina: Er nannte die Dinge beim Namen. Er war ja durch die Hitler-Zeit, durch Flucht und Vertreibung und durch die Zeit im aufkommenden Sozialismus genauso geprägt wie wir und ich. Und er hatte gelernt, dass man mit den Kommunisten einfach keine Kompromisse machen sollte. Er wusste genau, was Leute, die ganz treu zur Kirche und zu ihrem Glauben hielten, mitgemacht hatten.

Deswegen konnte er sehr gut nachempfinden, was Familien, Jugendliche und junge Erwachsene mitmachten, wenn sie als Messdiener, in Jugendgruppen oder im Engagement für eine Pfarrei waren. Sie hatten keine Chance, im Staat irgendetwas zu werden. Das wusste er genau, das konnte er beim Namen nennen. Wir kannten das nicht, deshalb war es unglaublich ermutigend.

domradio.de: Bei Ihnen war es damals tatsächlich auch so: Sie waren Klassenbeste, hätten Karriere in der DDR machen können. Aber letztendlich war es Joachim Meisner, der Sie davon abgehalten hat. Das bereuen Sie bis heute nicht, oder?

Schwester Katharina: Es gab die Jugendweihe, die ein Bekenntnis war zum sozialistischen Staat. Es war über die ganzen Jahre immer wieder deutlich gesagt worden, katholische Jugendliche könnten doch keine Weihe und kein Treuegelöbnis an den Sozialismus machen. Das ginge doch nicht. Also haben wir das nicht gemacht und ganz viele Jugendliche auch nicht.

Das hieß aber im Umkehrschluss, dass Sie in der Schule die Beste und die Allerbeste sein konnten. Wenn auf Ihrem Zeugnis stand: "Hat keine Jugendweihe", was darauf gedruckt wurde, hatten Sie keine Chance. Ich habe mich mit dem besten Zeugnis der Schule beworben, um aufs Gymnasium zu kommen und bekam eine Absage. Das war nicht nett, das muss ich schon sagen.

Dann aber von Kardinal Meisner bei der nächsten Jugendwallfahrt zu hören: "Ich weiß um euch, ich weiß, dass viele Jugendliche deswegen kein Abitur machen können, kein Studium machen können. Und ich bleibe trotzdem dabei: Versucht, eure Fähigkeiten in Berufe einzusetzen. Wir wissen doch nicht, was die Zukunft bringt.", das war ermutigend. Auf gut Deutsch hat er gesagt: Dieses System bleibt nicht hundert Jahre.

domradio.de: Wir machen einen Sprung in Ihrer Biografie: Sie haben sich irgendwann dafür entschieden ins Kloster zu gehen, hatten aber einen Arbeitsvertrag, den Sie erfüllen mussten. Mit diesem Dilemma sind Sie zum damaligen Weihbischof Meisner gegangen und haben ein persönliches Gespräch bekommen. Wie war das?

Schwester Katharina: Ich hatte diesen Arbeitsvertrag, den ich abschließen musste, um Examen machen zu können. Das war eine Form, wie man die jungen Absolventen in die staatlichen Häuser geleitet hat, also musste ich diesen Vertrag unterschreiben. Ich merkte aber, dass ich lieber dieses als nächstes Jahr in den Orden eintreten wollte.

Ich fragte ein wenig herum und jemand sagte mir, ich solle zu Meisner fahren. Ich hatte einen freien Tag und habe mich erkundigt, ob ich dorthin kommen könnte. Ich habe einen Termin erhalten und bin mit dem Zug dahin gefahren. Er holte eine Justitiarin, die sich des Vertrages annahm, während wir uns eine Stunde über Berufung und Ordensleben unterhalten haben, und darüber, wie man als junger Erwachsener seinen Glauben leben kann. Die Justitiarin stellte fest, dass der Vertrag niet- und nagelfest ist und dass ich aus ihm nicht herauskomme.

Wir unterhielten uns darüber, wie ich diese zwei Jahre, die ich noch warten musste, gestalten könnte. Was ich tun könnte, um die Zeit schon einmal als Vorbereitung auf den Orden zu nutzen. Ich bekam den Tipp, nach Polen und in die Tschechoslowakei zu fahren, um mitzubekommen, dass wir es in der DDR noch relativ gut hatten im Vergleich zu den Diktaturen dort.

domradio.de: Sie haben sich später in Köln wiedergesehen. Konnte er sich an Sie erinnern?

Schwester Katharina: Ja, das war das Interessante! Ich habe 2002 die Stelle "Berufe der Kirche" angetreten. Die war ihm so wichtig, dass er die Leute, die da arbeiten, kennen wollte. Ich hatte einen Termin morgens um acht Uhr, bei dem er mich schon immer so anguckte. Er erzählte, was er von mir wollte – Beratung mit Blick auf Priestertum und Ordensleben.

Daraufhin runzelte ich die Stirn und erzählte ihm, dass für mich Berufungspastoral heißt, jungen Leuten zu helfen, ihren Weg zu finden und dann mal zu gucken, was der liebe Gott da vorhat. Er guckte mich an und sagte: "Sture Eichsfelder" und erinnerte sich daran, woher ich komme und dass ich vor vielen Jahren bei ihm war. Er hatte ein phänomenales Gedächtnis.

domradio.de: Kardinal Meisner hatte großen Vorbildcharakter in der DDR, er hat sich auch immer wieder für verfolgte Christen in Mittel- und Osteuropa eingesetzt. Wie sehen Sie das - ist er als Erzbischof nie richtig in Köln angekommen?

Schwester Katharina: Das ist eine schwierige Frage, über die sich schon so viele Menschen Gedanken gemacht haben. Mir hat er persönlich immer leidgetan, weil ich das Gefühl hatte, es wäre nicht der richtige Ort für ihn. Er hat von vornherein gesagt, dass er nicht nach Köln wollte, und hatte das Papst Johannes Paul II. auch sehr deutlich gemacht. Der wollte ihn aber an dieser Stelle haben.

Man merkte schon, dass es einfach nicht seine Kragenweite und seine Wellenlänge waren. Das fand ich immer schade, genauso wie die späteren Entwicklungen, die ich mitbekam. Schließlich kannte ich ihn so ganz anders.

Das Interview führte Verena Tröster.


Sr. Katharina Hartleib (DR)
Sr. Katharina Hartleib / ( DR )
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