Sechs Jahre Krieg in Syrien

Blick in die verletzte Kinderseele

Millionen Kinder in Syrien haben in ihrem Leben noch keinen Frieden erlebt. Sechs Jahre Krieg haben eine Generation traumatisiert. Helfer schlagen zum Jahrestag des Beginns des Syrienkrieges Alarm.

Autor/in:
Rainer Nolte
Kinder in Syrien / © Andrea Stevens (epd)
Kinder in Syrien / © Andrea Stevens ( epd )

Es gibt Dinge, die stolz machen, wenn Kinder sie können. Waffen am Geräusch zu erkennen, gehört eindeutig nicht dazu. Bei seinem Besuch in Aleppo erlebte Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon solch traurige Momente. Kinder malten nur noch Kriegsszenen, in schwarzen und dunklen Farben. Daran erkenne man, was in den Seelen los sei, sagte er am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Zum sechsten Jahrestag des Beginns des Syrienkrieges am 15. März machen Hilfsorganisationen besonders auf eine katastrophale Situation der Kinder in dem Land aufmerksam.

Schwer traumatisierte Kinder

Laut SOS-Kinderdörfer sind mindestens 85 Prozent der Jungen und Mädchen in Syrien schwer traumatisiert. "Über ein Drittel der insgesamt rund zehn Millionen Kinder ist unter sechs Jahre alt und kennt nichts anderes als den Kriegsalltag, der aus Angst, Tod und Verlust besteht", so Maya Alnashawati, Nothilfe-Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer in Damaskus.

Die Hilfsorganisation kümmere sich an mehreren Standorten wie Aleppo, Tartous und Damaskus um Hunderte kriegstraumatisierte Kinder. "Unsere Tagesstätten und Nothilfe-Einrichtungen sind total überlastet", erklärt Alnashawati. Dabei erreichten die Helfer nur einen Bruchteil der Kinder, die dringend Hilfe bräuchten. Die Kinder hätten "Unfassbares" erlebt und seien oft "apathisch oder aggressiv".

"Wir haben hier einen Fünfjährigen, dessen Haus von einer Bombe getroffen wurde", erzählt Alnashawati. "Seine gesamte Familie starb. Nur er überlebte in den Trümmern und wurde zwei Tage nach dem Angriff gerettet. Danach musste er mit ansehen, wie der Rest seiner Familie tot geborgen wurde. Am Anfang sprach er gar nicht. Jetzt, nach fast einem Jahr, spricht er, aber noch lange nicht altersgemäß." Wie lange es dauert, bis er sich normal verständigen kann, sei schwer zu sagen.

In den vergangenen Tagen hatten auch andere Hilfswerke Alarm geschlagen angesichts der Situation der Kinder im Syrienkrieg. Eine Studie von "Save the Children" ergab, dass Millionen Kinder in dem Land unter psychischen Störungen und Stresssymptomen wie Bettnässen, Albträumen oder Sprachstörungen litten.

Vorjahr das brutalste des Konfliktes

Trauma-Therapeuten versuchen laut SOS-Kinderdörfer, den Zugang zu den Kindern zu finden, damit diese wieder Lebensmut und Vertrauen entwickeln. "Ein Zwölfjähriger konnte anfangs den Tod seiner Eltern nicht verkraften und sagte, dass er in sein Dorf zurückkehren wolle, um Rache zu üben. So tief saß sein Hass", schildert Expertin Alnashawati. Nach monatelanger Therapie sei der Junge so weit, dass er seine Gedanken darauf richte, seine Heimatstadt nach dem Krieg wieder aufbauen zu wollen.

2016 ist laut Unicef das bisher brutalste Jahr des Konflikts, in dem  652 Kinder gewaltsam ums Leben gekommen sind - 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt seien mehr als 2.500 Fälle von direkter Gewalt und schweren Kinderrechtsverstößen offiziell dokumentiert. Dabei hätten auch Verstümmelungen und die Rekrutierung von Kindersoldaten deutlich zugenommen.

Bewaffnete Gruppen hätten mehr als 850 Minderjährige zum Dienst an der Waffe gezwungen, doppelt so viele wie 2015, so das Hilfswerk.

Dabei würden die Kinder und Jugendlichen immer häufiger auch direkt als Kämpfer an der Front eingesetzt. In extremen Fällen würden sie auch für Hinrichtungen und Attentate missbraucht. "Das Leid der syrischen Kinder hat ein beispielloses Ausmaß erreicht", sagt Geert Cappelaere, Unicef-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika. Die Organisation Care spricht gar vom "Aushungern unschuldiger Kinder" als Kriegsmittel. Insgesamt benötigten 13,5 Millionen Menschen in Syrien humanitäre Hilfe, davon seien knapp 50 Prozent Kinder.

Das Bündnis "Aktion Deutschland Hilft" fordert größten Einsatz, damit nicht eine "verlorene Generation" heranwachse. "Viele syrische Kinder müssen arbeiten oder noch in jungen Jahren heiraten, um ihre Familien finanziell zu entlasten. Dadurch fehlt ihnen jeglicher Zugang zur Bildung", warnt Vorstandsmitglied Manuela Roßbach. Viele Kinder haben demnach noch keinen Frieden und Sicherheit erfahren. 1,75 Millionen syrische Kinder könnten die Schule nicht besuchen. Für die Zukunft des Landes habe das gravierende Folgen.


Quelle:
KNA