Wer früher zum Erzbischof von Paris, Brüssel, Berlin oder Turin ernannt wurde, durfte sicher sein: Binnen kurzem winkt der Kardinalspurpur. Heute haben Bischöfe aus Tonga, den Seychellen oder Sibirien darauf womöglich größere Chancen als der Patriarch von Venedig oder von Lissabon. Unter Papst Franziskus ist die Reise nach Rom - also ins Kardinalskollegium - ein Stück weit zum Karussell geworden. Und die nächste Fahrt geht rückwärts...
Ab der zweiten Juni-Woche sind wieder mindestens sechs Plätze im Senat des Papstes frei. Nicht unwahrscheinlich, dass Franziskus Mitte Mai wieder neue Kardinäle benennen könnte. Sie erhielten dann zu Peter und Paul (29. Juni) das Birett. Warum nicht zu Pfingsten, wo der Papst ohnehin zu einem Konsistorium (19. Mai) über laufende Heiligsprechungsprozesse nach Rom gerufen hat?
Internationalisierung des Kardinalskollegiums
Natürlich, der Trend ist nicht neu: Seit fast einem Jahrhundert arbeiten die Päpste an einer Internationalisierung des Kardinalskollegiums. Die Entwicklung verläuft immer schneller - und ist unter Franziskus noch mal deutlich rasanter und spektakulärer als unter seinen Vorgängern.
Demonstrativ ernennt der argentinische Jesuit Leute "von den Rändern", geografisch wie konfessionell. Während klassische "Papstmacher" von einst über Jahre auf der Langen Bank schmoren, beruft Franziskus Bischöfe zu seinen Beratern, in deren Ländern Katholiken nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Irrwitz oder Prophetie?
Brüskiert oder zumindest irritiert
Wer nicht von der gängigen römischen Kirchengeschichte abstrahieren kann, wie sie seit Jahrhunderten funktioniert, kann brüskiert oder zumindest irritiert sein ob solcher Konsequenz. Doch öffnet der Europäer seinen Fokus zumindest bis zum Imperialismus der Eroberung Lateinamerikas, so schwant die Motivation (und Berechtigung) dieser Neuausrichtung: Kirche ist mehr als das Alte Europa mit seiner egozentrischen Selbstbespiegelung.
Und selbst wo dieser Sinn dämmert, müssen die nackten Zahlen konsternieren. Die Johannes-Paul-II.-Kirche der Postwende-Ära schwindet dahin. Wo ukrainische, rumänische oder weißrussische Kardinäle lange undenkbar waren, gab es sie doch für einige Jahrzehnte - in Anerkennung der kommunistischen Kirchenverfolgung. Inzwischen sind sie alle tot oder um die 90 Jahre alt.
Deutschland und Frankreich
Wo es tschechische, slowakische, ungarische Kardinäle im Plural gab, ist heute maximal einer pro Land übrig. Im kommenden April scheidet selbst der polnische Ziehsohn Johannes Pauls II., der Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz, aus dem Kreis der Wähler aus. Estland, Lettland, Litauen müssten längst wieder Kandidaten für Franziskus sein. Vielleicht ist ja mit Blick auf den Papstbesuch im Baltikum im August einer dabei?
Auch die beiden allergrößten Nationen der wissenschaftlichen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, Deutschland und Frankreich, bringen heute zusammen nur noch sieben Wähler auf die Waage. Höher ist mit acht die Zahl der "Emeriti", der über 80-Jährigen, die - trotz hohen Ansehens - nicht mehr ins Konklave einziehen können. Sie können allenfalls im Vorfeld netzwerken.
Niedrige Zahl von drei Papstwählern
Für Deutschland ist eine historisch niedrige Zahl von drei Papstwählern übrig: Reinhard Marx (64, München), Rainer Maria Woelki (61, Köln) und Gerhard Ludwig Müller (70, Rom). Für Frankreich sind die Perspektiven wenig besser. Stimmberechtigt sind der Pariser Alterzbischof Andre Vingt-Trois (75), Kurienkardinal Jean-Louis Tauran (75), Jean-Pierre Ricard (73) aus Bordeaux und Primas Philippe Barbarin (67) aus Lyon.
Vor allem aber für Italien ist der Schwund offenkundig. Weniger als ein Sechstel der Papstwähler - in historischer Perspektive absolut indiskutabel und ohnegleichen. Wenn Kurienkardinal Angelo Amato am 8. Juni qua 80. Geburtstag ausscheidet, gibt es erstmals seit Johannes XXIII. (1958-1963) wieder weniger als 20 italienische Papstwähler.
Damals gab es freilich absolut noch deutlich weniger Kardinäle. 1946 waren zum ersten Mal seit dem frühen 15. Jahrhundert italienische Kardinäle in der Minderheit. Gut zwölf Jahre später, beim Tod Pius XII. 1958, waren von 53 Kardinälen nur noch 17 Italiener. Schaut man auf eine Weltkarte des Katholizismus im 21. Jahrhundert, wirkt das Tableau des Kardinalskollegiums heute noch immer eurozentristisch aus der Zeit gefallen. Doch es ist eine Umwälzung in Gang, die unumkehrbar ist.