DOMRADIO.DE: Kopfschütteln und Fassungslosigkeit sind die Reaktionen auf die Ereignisse der Silvesternacht. Können Sie sich vorstellen, weshalb es zu solchen Szenen kommt?
Norbert Verse (Notfallseelsorger der Krisenintervention Berlin): Da fehlt mir jedes Verständnis. Ich habe keinen Gedanken, um das einzuordnen. Wenn ich im Alltag im Rettungsdienst oder in der Feuerwehr mit Einsätzen zu tun habe, habe ich mir Menschen gegenüber, die auf besondere Ereignisse unterschiedlich reagieren, manche mit Aggression.
Wieso ich mich engagiere, um Einsatzkräfte in einen Hinterhalt zu locken und da eine Jagd draus zu machen oder sie anzugreifen, kann ich nicht nachvollziehen.
DOMRADIO.DE: Sie betreuen Menschen nach einem schlimmen Ereignis und kommen als Seelsorger zur Hilfe. Wie waren Sie dieses Mal in der Silvesternacht involviert?
Verse: Wir waren in unserem üblichen Rahmen involviert. Es hat Einsätze im häuslichen Bereich gegeben. Es hat im Bereich eines Verkehrsunfalls einen Einsatz gegeben, wo wir Menschen begleitet haben und nahe standen.
Wir sind unterwegs gewesen und haben für Menschen Zeit gehabt, zugehört und versucht, Situationen zu beruhigen oder mit Blick auf das neue Jahr neu einzusortieren.
DOMRADIO.DE: Aus dem Bundesinnenministerium wird eine härtere Bestrafung der Täter gefordert, von der Gewerkschaft der Polizei ein umfangreiches Böllerverbot im Land für Bürgerinnen und Bürger, um nicht mehr Szenen wie dieses Mal zu haben. Wie müsste eine Verhinderung der Gewalt aus Ihrer Sicht aussehen?
Verse: Prävention istv das Stichwort. Mit den Menschen reden, erklären, dass Feuerwehrleute, Mitarbeitende im Rettungsdienst, egal ob sie sich hauptamtlich oder ehrenamtlich engagieren, unterwegs sind, um Menschen in Not zu helfen.
Dafür muss man ein Verständnis wecken und zeigen: Die sind für Mitbürger unterwegs. Da kann es nicht sein, dass ich gegen diese Menschen Gewalt anwende. Da gehört ganz viel Aufklärungsarbeit dazu und auch das Verständnis dafür, was es bedeutet, Hilfe zu leisten.
Der Respekt gegenüber Helfenden im Alltag ist verloren gegangen. Das haben wir deutlich gesehen. Das berichten auch Einsatzkräfte. Vor einigen Jahren haben wir noch davon gesprochen, dass es weniger Einsätze gibt, aber das hat sich deutlich verändert.
DOMRADIO.DE: Was können Einsatzkräfte bei einem Angriff tun, um sich zu schützen?
Verse: Das müssen die Einsatzkräfte selber beurteilen und bewerten und vielleicht auch Ideen entwickeln.
Es zeigt sich ja in Modellprojekten, dass Bodycams eine Unterstützung sein können. Gerade bei den Rettungsdiensten, bei der Feuerwehr, auch bei der Polizei arbeitet man immer im Team. Sich gegenseitig beobachten, im Blick haben, das Umfeld zu beobachten, ist ganz wichtig.
Im normalen Alltag ist das vielleicht einfacher möglich.
Aber an so einem Abend wie der Silvesternacht, wo ganz viel los ist, die Dunkelheit da ist, die ganzen Effekte einfach da sind, Knallkörper, Feuerwerkskörper, da ist es schwieriger, aufeinander zu achten.
Da muss man aus der Erfahrung der Einsatzkräfte heraus wahrscheinlich noch ganz viel entwickeln und schauen, was möglich ist, um die Menschen, die sich dort engagieren, zu schützen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, man müsse auch das Augenmerk darauf legen, dass da Menschen sind, die helfen wollen. Dass man das Helfen in den Mittelpunkt stellen soll. Können da auch die Kirchen helfen und unterstützen?
Verse: Das würde ich sehr hoffen und mir sehr wünschen, dass Kirchen dazu beitragen können, Bewusstsein zu schaffen. Sowohl im Bereich der Menschen, die wir eigentlich betreuen, der Betroffenen, Augenzeugen, Angehörigen, als auch im Bereich der Einsatzkräfte, der Polizei, der Feuerwehr.
Die Menschen, die dort arbeiten und sich freiwillig engagieren, sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Das muss deutlich gemacht werden. Da ist auch weitere und zielführende Unterstützung nötig.
Das Interview führte Katharina Geiger.