Seenotretter zur Lage auf dem Mittelmeer

"Sehr, sehr extrem"

Rund um Ostern sind im Mittelmeer über 7.000 Menschen in Seenot geraten. Das Rettungsschiff der Organisation "Jugend rettet" und die Crew kamen an die Grenzen der Belastbarkeit, wie Mitbegründerin Pauline Schmidt im Interview berichtet.

Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste (dpa)
Pauline Schmidt (li.) vom Verein "Jugend rettet" (Archiv) / © Hans-Christian Wöste ( dpa )

domradio.de: Wie geht es den Crew-Mitgliedern Ihres Rettungsschiffes "Iuventa" jetzt?

Pauline Schmidt (Mitbegründerin von "Jugend rettet"): Wir haben die Mission jetzt zwei Tage vorher beendet, offiziell wären wir noch bis Mittwoch durchgefahren. Die Crew hat eine absolute Extremsituation hinter sich. Mehrere Tage hatten sie keine Möglichkeit zu schlafen, Tausende Personen wurden gleichzeitig versorgt. Dementsprechend haben wir die Kollegen jetzt nach Malta geschickt, die müssen sich erst einmal eine ganze Weile ausruhen und das Erlebte gleichzeitig auch mit unseren Stressmanagement-Leuten verarbeiten.

domradio.de: Wer sind die Menschen an Bord, die so etwas überhaupt auf sich nehmen?

Schmidt: Wir sind eine private Seenotrettungs-Organisation, die immer für jede Mission die Leute "crewt". Das heißt, wir haben offizielle Prozedere, Patente, an die sich gehalten werden muss. Und dann suchen wir Crews aus, nach bestimmten Voraussetzungen. Und dann gucken wir natürlich auch nach medizinischen Erfahrungen. Sehr wichtig ist für uns, dass wir genügend Ärzte an Bord haben. Stressresistenz ist natürlich ein ganz wichtiger Faktor und in unserem Fall, weil es eben von Anfang an eigentlich klar ist, dass man sich in Extremsituationen begibt, Erfahrung auf hoher See.

domradio.de: Wie konnte das überhaupt so weit kommen, dass da eigentlich viel zu viele Menschen an Bord der "Iuventa" gekommen sind?

Schmidt: Tatsächlich ist es eine extrem ungewöhnliche Situation gewesen. Mehrere große NGO-Schiffe (Schiffe von Nichtregierungs-Organisationen) mussten nacheinander das Einsatzgebiet verlassen, weil sie selber schon vollgeladen waren mit geflüchteten Personen und sie ans Festland bringen mussten. Dann waren drei Rettungsschiffe alleine im Einsatzgebiet. Und diese Rettungsschiffe waren nach kurzer Zeit auch schon überlastet. Dann kam dazu noch schlechtes Wetter und ein ungebrochener Strom weiterer Flüchtlingsboote. Was jetzt die "Iuventa" anbetraf, gab es noch die Extremsituation, dass sich in der beginnenden Nacht ein großes Holzboot genähert hat. Dieses Holzboot ist dann direkt auf uns zugesteuert. Die Leute an Bord des Holzbootes sind in Panik verfallen, als sie unser Boot gesehen haben. Haben natürlich gedacht, da ist die Rettung, da können wir jetzt drauf, das ist sicherer als das wackelige Boot, auf dem wir uns gerade befinden. Und sind dann von ihrem Holzboot ins Wasser gesprungen und dann an Bord unseres Rettungsschiffes. Eine Situation, die wir so auch vorher noch nie hatten. In der Situation selber hatten wir auch schon Rettungsboote um uns herum stabilisiert, Schlauchboote und Rettungsinseln; weil wir ja schon so voll waren, dass wir eigentlich gar keine Leute mehr aufnehmen konnten. Das heißt, die Situation war wirklich an der absoluten Grenze.

domradio.de: Es waren auch schwangere Frauen unter den in Seenot geratenen Flüchtlingen. Wie entscheidet man, wer bevorzugt an Schiff genommen werden kann?

Schmidt: Das ist sehr, sehr schwierig. Natürlich geht das immer nach medizinischen Notfällen, es gibt keine geschlechtsspezifische Unterscheidung. Bei der "Iuventa" ist es ja auch so, dass sie mehr oder weniger ein schwimmendes Hospital sind, wir haben immer mehrere Ärzte an Bord. Und wir haben unter Deck auch die Möglichkeit, gute medizinische Versorgung zu leisten. Und das haben wir eben in diesem Fall auch gemacht. Die Schwangeren waren alle unter Deck, im Hospital selber oder in der Nähe zur Stabilisierung. Und ansonsten wird dann eben so entschieden, wer besonders gefährdet ist, wer besonders geschwächt ist. Und wer kann vielleicht in irgendeiner Form noch die Nacht auf dem Schlauchboot aushalten. Das sind aber alles Entscheidungen, die sind natürlich extrem. Sehr, sehr extrem.

domradio.de: Was ist aus den Menschen geworden, die Sie auf die Rettungsinseln und auf die Schlauchboote aufnehmen konnten?

Schmidt: Wir haben tatsächlich die glückliche Nachricht, dass zumindest in unserem Gebiet alle Personen, die wir aufgenommen haben, alle Personen, die wir stabilisiert haben, überlebt haben. Das ist ganz klar der Arbeit unseres Kapitäns zu verdanken, der da wirklich an seine absoluten persönlichen Grenzen gegangen ist. Bei den Kollegen gab es Todesfälle, das waren aber meines Wissens nach Menschen, die schon tot geborgen wurden. Also da sind an diesem Tag wirklich alle Organisationen an ihr absolutes Limit gegangen.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Über 7000 Flüchtlinge gerieten an Ostern in Seenot / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. (dpa)
Über 7000 Flüchtlinge gerieten an Ostern in Seenot / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. ( dpa )

Überfülltes Rettungsboot "Iuventa" / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. (dpa)
Überfülltes Rettungsboot "Iuventa" / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. ( dpa )
Quelle:
DR