DOMRADIO.DE: Sie haben die Seenotretter der "Seawatch" besucht, aber an Bord des Schiffes selbst durften Sie nicht. Warum?
Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland): Es war tatsächlich so, dass ich auf das Schiff zugegangen bin. Es ist ja jetzt vor wenigen Tagen die Beschlagnahmung aufgehoben worden. Insofern hatte ich schon erwartet, dass ich das Schiff auch besuchen kann. Aber kurz vor dem Schiff begann ein Sicherheitsbereich, der abgesperrt war. Die Crew der "Sea-Watch" hat nicht die Erlaubnis bekommen, mich auf dem Schiff zu empfangen. Sie kamen folglich einfach raus zu mir und wir haben vor dem Tor sehr intensiv miteinander geredet.
Der Schiffsingenieur hat noch kurzfristig ein Schlauchboot organisiert, sodass ich über das Wasser von der anderen Seite her an das Schiff heranfahren konnte. Dort konnte er mir erklären, wie die Seenotrettung funktioniert. Wir haben ebenso auch sehr intensive Stunden zusammen in einem gemeinsamen Gemeindehaus verbracht - mit sehr berührenden Berichten von ihnen.
DOMRADIO.DE: Was war für Sie am Eindrücklichsten an diesen Berichten?
Bedford-Strohm: Einfach zu hören, wie die Zahlen Gesichter bekommen und die Menschen wirklich als Menschen sichtbar werden. Da ist mir von der letzten Mission vor der Beschlagnahmung erzählt worden, bei der man Flüchtlinge in Schlauchbooten aufgenommen hat. Da waren Frauen und kleine Babys dabei. Als die Menschen dann aufgenommen wurden, haben sie natürlich voller Glück dankbar wahrgenommen, dass sie jetzt am Ziel und in Sicherheit sind.
Dann entstand diese Situation, wo die italienischen Behörden verboten haben, dass dieses Schiff anlegen kann. Sie waren also wieder auf dem Meer festgehalten. Man hat verhandelt, dass zuerst die Babys und Mütter, irgendwann auch die Väter an Land gehen dürfen. Die Crew hat aber gesagt: Wir können die Leute nicht trennen. Wir können nicht sagen, die einen gehen jetzt an Land und die anderen bleiben. Deswegen sind die Seenotretter mit allen Passagieren an Land gegangen. Das führte zur Beschlagnahmung des Bootes.
DOMRADIO.DE: Hat diese direkte Berührung mit dem Thema Ihre Sichtweise geändert?
Bedford-Strohm: Ja natürlich ist es so. Wenn man diese wirklich eindrucksvollen Menschen direkt erlebt, die sich für andere engagieren, dann wird man zornig. Es kann nicht sein, dass Europa hier einfach wegschaut. Deswegen ist es dringend nötig, dass erstens die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettungshelfer aufhört. Zweitens müssen wir einen Mechanismus entwickeln, dass die zivile Seenotrettung wieder so funktionieren kann, dass die Menschen an Land gehen können – und zwar nicht irgendwann im Herbst, sondern sofort.
Man darf Italien dabei auch nicht alleine lassen. Es gibt überall in Europa Städte, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie werden nur von den Staaten daran gehindert und das muss aufhören. Es muss klar sein, dass, wenn Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer gerettet werden, sie auch Orte haben, wo sie dahin gebracht beziehungsweise an Land gehen können. Wenn wir das nicht schaffen, dann verliert Europa wirklich seine Seele. Es gehört zu den menschlichen Grundpflichten, dass Menschen, die ertrinken, schlicht und einfach gerettet werden. Sie dürfen nicht Spielball irgendwelcher politischen Maßnahmen sein.
Das Interview führte Hilde Regeniter.