Schaustellerseelsorger kritisiert unübersichtliche Regeln

"Seit 20 Monaten zum Nichtstun verurteilt"

Die Schausteller und Zirkusleute sind nach einer langen, coronabedingten Pause wieder aktiv. Dennoch sei die Situation nicht zufriedenstellend und die Regeln in den Bundesländern diffus, kritisiert Schaustellerseelsorger Sascha Ellinghaus.

Eine Kirmes mit Riesenrad / © Gregory E. Clifford (shutterstock)
Eine Kirmes mit Riesenrad / © Gregory E. Clifford ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Lage für die Schausteller und auch für die Zirkusse ist unübersichtlich. In manchen Bundesländern geht mehr, in anderen weniger. Wie sieht die Situation aus?

Sascha Ellinghaus (Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland): Seit die Bundesnotbremse zum 30. Juni ausgelaufen ist und die Inzidenzzahlen unter 100 sind, gelten wieder verschiedene Corona-Schutzverordnungen der Bundesländer. Auch hier wieder gemäß der verschiedenen Inzidenzstufen, die sich auf sehr differenzierte Weise auf Märkte, Jahrmärkte, Kulturveranstaltungen und Zirkusvorführungen auswirken.

Von daher ist es zurzeit durchaus schwierig zu eruieren, was im Moment gilt, besonders, wenn man eine Veranstaltung plant. Denn das kann man ja immer nur in die Zukunft hinein tun. Ob das dann auch noch so ist, wenn die Veranstaltung an den Start gehen soll, ist nicht sicher. Darüber hinaus haben auch die betreffenden Kommunen noch Mitspracherecht, was in ihren Bereichen stattfinden kann und darf. Das Bild ist also durchaus diffus.

DOMRADIO.DE: Welche Schausteller kommen besser durch die Krise? Die mit den Fahrgeschäften oder die mit der Zuckerwatte?

Ellinghaus: Das ist gar nicht so einfach zu trennen. Natürlich hat man es mit einem Süßwaren- oder Imbiss-Geschäft, aber auch mit einem Kinderkarussell in der momentanen Situation einfacher. Man kann die Gelegenheit vielleicht nutzen, sich vor einem Einkaufszentrum, in der Stadt oder in einem Park zu positionieren, um Einnahmen für die Familie zu erwirtschaften. Aber auch hier fehlt oft die hohe Kundenfrequenz, die man auf einem Volksfest, auf einer Kirmes erwarten könnte, damit es sich wirtschaftlich lohnt und nicht nur über die nächste Zeit hilft.

Große Fahrgeschäfte haben es dann natürlich schwieriger, weil sie nicht so einfach zu positionieren sind und es eines hohen finanziellen, wirtschaftlichen und personellen Aufwandes bedarf, sie überhaupt in Betrieb zu nehmen.

DOMRADIO.DE: Es sind ja im Herbst bisher nur kleinere Feste geplant. Da ist gar kein Platz für alle. Wer entscheidet denn, welcher Schausteller aufbauen darf und welcher nicht?

Ellinghaus: Es geht im Prinzip nicht erst im Herbst los, sondern schon jetzt. Die Schausteller sind wieder aktiv und überall da und in dem Maße, wie es die Schutzverordnungen zulassen, entstehen jetzt auf Initiative der Schausteller wieder die so genannten temporären Pop-Up Freizeitparks. Eine Art umzäunte Kirmes, um Besucherströme, Nachverfolgbarkeit und die geforderte "Drei-G-Regel" konform umsetzen zu können. Veranstalter sind meist die Schaustellervereine und nicht die Kommunen, sodass versucht wird, jede Schaustellerfamilie, die dort ansässig ist und sich für die Beteiligung an einer solchen Veranstaltung anbietet, für die es sich lohnt, auch mit einem Geschäft oder Standplatz zu berücksichtigen.

Oftmals haben die Schaustellerfamilien natürlich mehrere Geschäfte. Hier wird dann häufig eines positioniert, damit möglichst viele verschiedene Familien zum Zuge kommen und die Möglichkeit haben, ihr Geld zu verdienen. Inzwischen haben schon einige begonnen. Es lohnt sich wirklich, dort hinzugehen. Vergangene Woche hatte ich eine Taufe auf dem Riesenrad im Hanno-Park in Hannover und eine Geschäftssegnung zur Eröffnung des Kasseler Sommersspaßes in Kassel. Derzeit laufen der Indepark auf dem Drieschplatz in Eschweiler, der Happypark in Euskirchen oder das Fridolino in Dortmund auf dem Friedenbaumplatz. In wenigen Wochen beginnt auf dem Anna-Kirmes-Platz in Düren das Dürener Sommer Special, das auch schon im letzten Jahr erfolgreich durchgeführt wurde.

Es gibt viele Möglichkeiten, jetzt schon eine Kirmes zu besuchen und Möglichkeiten für Schausteller, zumindest wieder in Gang zu kommen und sich in Erinnerung zu bringen, dass sie gerne wieder an den Start gehen möchten.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es mit den Coronahilfen der Regierung aus? Sind die bei den Schaustellern angekommen?

Ellinghaus: Ich glaube, wir müssen dankbar sein, dass wir in Deutschland leben und dass auch Schausteller und Zirkusleute an den Hilfen des Bundes beteiligt wurden. Damit glaube ich, dass sie wohl besser gestellt sind, als viele Schausteller und Zirkusleute in anderen Ländern. Besonders aktiv haben da die Bundesverbände der Schausteller, der Deutsche Schaustellerbund sowie der Bund der Schausteller und Marktkaufleute und auch der VdCU, der Verband der deutschen Zirkusunternehmen, sich unermüdlich bemüht, die Situation der Schausteller unseren Politikern nahezubringen, auf die schwierige Situation für die Menschen auf der Reise hinzuweisen und sicherlich damit auch erreicht, dass diese Branche nicht vergessen wurde.

Dennoch darf man nicht vergessen, dass Zirkusbetriebe und Schausteller seit Dezember 2019 ohne eigene Einnahmen leben müssen und das auch mit Unterstützung nicht einfach zu kompensieren ist. Schausteller und Zirkusleute können sehr unterschiedlich an den verschiedenen Hilfsmaßnahmen partizipieren. Denn die Gesellschaftsform, ob man als GmbH, als Gebrüder oder als Soloselbstständiger, ob mit Angestellten oder Familie sein Geschäft betreibt, macht dort einen größeren Unterschied. Und man darf auch nicht vergessen, dass großzügig gewährte Kredite auch in Zukunft zurückgezahlt werden müssen. Im Wesentlichen macht das den Schaustellern und Zirkusleuten schon zu schaffen, dass sie seit 20 Monaten zum Nichtstun verurteilt sind.

DOMRADIO.DE: Mit wieviel Sorge gucken die Schausteller auf den Herbst und die mögliche vierte Welle? Wie oft wenden sie sich an Sie? Werden Sie mehr gebraucht als vorher?

Ellinghaus: Ich glaube, wir schauen ja alle mit Sorge auf eine eventuelle vierte Welle. Es bleibt aber die Hoffnung, denke ich, dass der Impffortschritt es ermöglicht, auf zukünftige weitreichende Einschränkungen verzichten zu können und dass Schaustellern und Zirkusleuten, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, eine hoffentlich gute Zeit der Weihnachtsmärkte und Weihnachtszirkusse 2021/22 bevorsteht.

Als Seelsorger waren wir natürlich in dieser Corona-Zeit verstärkt als Gesprächspartner gefragt, wobei die Kontakte aufgrund der Kontaktbeschränkungen nur über die Medien und weniger persönlich möglich waren. Wir haben ebenso versucht, Politiker zu kontaktieren, um auf die Situation der Schausteller und Zirkusleute hinzuweisen und zu motivieren, Unterstützungsmaßnahmen in ihre Richtung nicht zu vergessen. Auch wo wir im kirchlichen Rahmen helfen konnten, haben wir das natürlich versucht. Neben den sakramentalen Dingen wie den Beisetzungen, die auch in der Krisenzeit weiter zu bewältigen waren.

Da nun auch Familienfeiern wieder möglich sind, melden sich nun viele, die ihre Kinder taufen lassen wollen. Nächste Woche habe ich allein sechs Taufen, eine Erstkommunion und eine Geschäftssegnung. Das macht natürlich auch wieder Freude. Wir freuen uns, dass das Leben wieder erwacht und hoffen, dass der Aufwärtstrend weitergeht und unsere Schausteller und Zirkusleute in eine gute Zukunft gehen können. Hoffentlich nehmen viele Menschen die Angebote der Pop-up-Märkte und Zirkusvorstellungen wahr, damit dies auch Wirklichkeit werden kann.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Pfarrer Sascha Ellinghaus, Leiter der Katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge / © Dieter Mayr (KNA)
Pfarrer Sascha Ellinghaus, Leiter der Katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge / © Dieter Mayr ( KNA )
Quelle:
DR