Seit einem Jahr ist in Mexiko Abtreibung legal

"Man kann nicht halb töten"

7.000 Kerzen für die angeblich bislang 7.000 Opfer von Abtreibung in Mexiko Stadt und Proteste im ganzen übrigen Land - der Jahrestag der Legalisierung ist in ganz Mexiko erneut Anlass für eine heftige Diskussion über den Schwangerschaftsparagrafen.

Autor/in:
Brigitte Schmitt
 (DR)

Seit zwei Wochen sammelt der Oberste Gerichtshof des Landes Argumente für und wider die Abtreibung. Bis zum 27. Juni sind insgesamt sechs öffentliche Anhörungen angesetzt. Dann wollen die Juristen entscheiden, ob das umstrittene Abtreibungsgesetz verfassungswidrig ist und Internationalem Recht widerspricht. Ein Argument, das unabhängige Juristen untermauern - ebenso wie Vertreter der Kirche und Lebensschützer.

So erinnern die katholischen Bischöfe in einer Note daran, "dass die Verteidigung des Lebens nicht von einem religiösen Dogma ausgeht, sondern ein natürliches Recht jedes Menschen ist". Sie sehen durch die Wissenschaft bestätigt, dass "das empfangene Wesen auch schon vor der Geburt ein Subjekt mit vollen Rechten auf das Leben ist", betont der Sekretär der Bischofskonferenz, Jose Leopoldo Gonzales.

Frauenrechtlerinnen pochen dagegen auf gesetzliche Regelungen. Sie argumentieren mit der hohen Opferrate unter Frauen und Mädchen, die bei schlecht oder gar nicht ausgebildeten "Engelmachern" abtreiben lassen und dann an den Folgen einer unhygienischen Operation oder mangelnder Fachkenntnis sterben.

Lokale Unterschiede
Die Geschichte der Abtreibungsgesetzgebung in Mexiko beginnt 1931 und hat viele lokale Revisionen erfahren. Grundsätzlich gilt, dass bei Vergewaltigung, Gefahr für das Leben der Mutter und Geburtsschäden am Kind bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abgetrieben werden darf.

Im Bundesstaat Yucatan ist zusätzlich ein Abbruch aus wirtschaftlicher Not erlaubt. Der Bundesstaat Baja California Sur hat das mildeste Strafgesetz: Dort wird eine illegale Abtreibung mit Haft zwischen zwei Monaten und zwei Jahren geahndet. Nach offiziellen Angaben werden in ganz Mexiko pro Jahr schätzungsweise rund 102.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen; Nichtregierungsorganisationen veranschlagen aber das Fünf- bis Siebenfache.

"Wir Bischöfe verstehen die Umstände"
Weihbischof Gonzales will die Notlage vieler Frauen, die in armen Verhältnissen leben oder auf Druck des Partners oder der Familie abtreiben, nicht leugnen. "Wir Bischöfe verstehen die Umstände, die Menschen zu der drastischen Entscheidung treiben können", sagt er.

Zugleich kritisiert er, dass Frauen überhaupt erst in diese Situation getrieben werden. Der Staat müsse die sozialen und wirtschaftlichen Vorkehrungen treffen, dass Frauen ihre Kinder in Sicherheit aufziehen oder andernfalls zur Adoption freigeben könnten. "Hier gibt es noch viele Initiativen, die zugunsten des Lebens diskutiert werden müssen."

Unabhängig davon, wie die Richter urteilen werden: Die Entscheidung "wird immer zugunsten einer Partei und zuungunsten der anderen ausgehen", sagt der Jurist Jorge Adame von der Nationalen Autonomen Universität Mexiko. "Man kann es nicht beiden Seiten recht machen: Entweder man erlaubt zu töten, oder man verbietet es. Man kann nicht zur Hälfte töten."