Sekte Shincheonji macht Kirchen und Behörden Sorgen

"Erzeugt große psychische Ängste"

Shincheonji ist eine neue christliche Sekte aus Korea, die sich seit einigen Jahren in Deutschland ausbreitet und nun Kirchen wie Behörden Sorgen bereitet. Ein Hotspot ihrer Missionierung ist Frankfurt am Main im Bistum Limburg.

Symbolbild Licht in den Händen / © Wirestock Creators (shutterstock)
Symbolbild Licht in den Händen / © Wirestock Creators ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: An was glauben die Mitglieder der Sekte Shincheonji?

Dr. Johannes Lorenz (Sektenbeauftragter im Bistum Limburg): Es ist eine sogenannte Neooffenbarungsreligion, die sich in Südkorea gebildet hat. Anfang der 80er-Jahre ist sie von dem sogenannten Pastor der Endzeit gegründet worden, der sich selbst so versteht.

Es gibt eine Stelle in der Offenbarung des Johannes-Evangeliums, wo von einem Pastor der Endzeit gesprochen wird. Und dieser Mann aus Südkorea, der mittlerweile weit über 90 Jahre alt ist, glaubt dieser Mann zu sein. Er möchte sozusagen die zwölf Stämme Israels wieder versammeln, um sie für die Endzeit vorzubereiten und versucht weltweit Mitglieder zu generieren, unter anderem auch in Deutschland und in der Schweiz.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen nicht von der Sekte, sondern von einer Neureligion mit Konfliktpotenzial. Was ist denn daran gefährlich?

Lorenz: Das Problematische ist, dass die Gemeinschaft mit Tarnorganisationen operiert. Das heißt, man weiß nicht, was sich dahinter verbirgt. Man wird zu einem Bibelkurs eingeladen.

Man wird online angesprochen, ob man nicht Lust hätte, einen Vortrag mit durchzusprechen und landet dann in einem Bibelkurs, der immer weitere Kreise zieht und immer enger und enger wird und man irgendwann in einem sozialen Umfeld landet, das von einem erwartet, dass man die Beziehungen zu seinem alten sozialen Umfeld abbricht und man in gewisser Weise in eine Parallelwelt hineingezogen wird.

Wir sprechen von einem harten Dualismus, das heißt, es gibt sozusagen die einzig wahre Innenwelt und die vom Satan besetzte Außenwelt. Dieser Dualismus wird sehr stark forciert. Das setzt Mitglieder sehr stark unter Druck. Das setzt Familienmitglieder unter Druck. Das erzeugt große psychische Ängste und kann bis hin zu Einweisungen in psychiatrische Kliniken führen. Da ist durchaus großes Konfliktpotenzial dabei.

Dr. Johannes Lorenz, Sektenbeauftragter im Bistum Limburg

"Sie ist derzeit die am stärksten wachsende Gemeinschaft und diejenige, die uns am meisten Probleme bereitet."

DOMRADIO.DE: Was für eine Rolle spielt diese Gruppierung in der Sektenlandschaft in Deutschland?

Lorenz: Ich würde sagen, sie ist derzeit die am stärksten wachsende Gemeinschaft und diejenige, die uns am meisten Probleme bereitet. Mit uns meine ich die kirchlichen und staatlichen Beratungsstellen, die immer mehr auch mit Anfragen zu tun haben, hauptsächlich von Angehörigen, die ihre Kinder oder Bekannte in diese Gemeinschaft verlieren.

Wir gehen momentan davon aus, dass in Deutschland circa 3.000 aktive Mitglieder von Shincheonji da sind. Die Gemeinschaft hat einen sehr, sehr hohen missionarischen Eifer und versucht mit allen möglichen Mitteln neue Mitglieder zu gewinnen. Insofern würden wir sagen, ist es die Gemeinschaft, die momentan das höchste Konfliktpotenzial hat.

DOMRADIO.DE: Diese Missionierung geschieht sozusagen unter falscher Flagge, also ganz bewusst auch bei christlichen Gläubigen. Inwieweit wissen Sie von katholischen oder evangelischen Gemeinden oder auch Vereinen, die damit konkrete Erfahrungen gemacht haben?

Lorenz: Wir wissen von katholischen Kirchengemeinden, wo es Versuche gibt, sie zu unterwandern. Es gibt evangelische Gemeinden, die immer wieder auch mit Shincheonji zu tun haben. Das heißt, es gibt ganz konkret die Praxis, dass man Gottesdienste besucht, dass man Gläubige nach dem Gottesdienst anspricht, niedrigschwellig, freundlich. Das sind oft auch junge, freundliche Menschen, die sie einladen.

Wir haben jetzt gerade wieder eine Aktion, die von Shincheonji ausgeht, wo sämtliche Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelischen Landeskirchen in der Region angeschrieben wurden, handschriftliche Briefe, wo freundlichst um Gespräche gebeten wird. Es wird immer gesagt, es geht um interreligiösen Dialog, um einen Frieden der Weltreligionen. Aber das eigentliche Anliegen ist eine PR-Aktion für die Shincheonji-Kirche, sozusagen für den guten Ruf zu sorgen, sich mit seriösen, religiösen Anbietern zu umgeben.

DOMRADIO.DE: Welche Anlaufstellen gibt es denn für Menschen, die selbst betroffen sind oder die bei Freunden oder Familie das Abdriften in eine Sekte beobachten?

Lorenz: Es gibt die kirchlichen Beratungsstellen, sowohl evangelisch als auch katholisch. In den Bistümern beziehungsweise Landeskirchen und in den Regionen gibt es auch manchmal noch einzelne Beauftragte, die sich um weltanschauliche Anfragen kümmern. Und es gibt natürlich die staatlichen Stellen in den Sozialministerien.

Es gibt zudem eine große Beratungsstelle in Nordrhein-Westfalen unter www.sekteninfo.nrw. Es gibt in Baden-Württemberg eine große Beratungsstelle. Also, wir sind da recht gut aufgestellt.

DOMRADIO.DE: Gibt es schon Erfahrungen mit Shincheonji von Leuten, die dort ausgestiegen sind und die dann berichten, was sie erfahren haben?

Lorenz: Ja, wir haben viel mit Aussteigerinnen und Aussteigern zu tun. Das reicht von Menschen, die einfach nur froh sind, dass sie wieder raus sind, nachdem sie nach relativ kurzer Zeit schon gemerkt haben, dass sie in eine Gemeinschaft geraten sind, wo sie eigentlich nicht hinwollen bis hin zu Menschen, die tatsächlich auch traumatisiert sind, unter psychischen Störungen leiden. Dazwischen gibt es alles Mögliche.

Aber es gibt auch gravierende Fälle, die mit dem beschriebenen Dualismus zu tun haben, also außerhalb der eigenen Gemeinschaft ist Satan zu Hause.

Mitglieder müssen einen Vertrag unterschreiben, dass sie sich auch nicht im Internet informieren, denn dort ist sozusagen in den Worten von Shincheonji die Einflusssphäre des Teufels.

Das macht etwas mit einer Psyche, vor allen Dingen mit der Psyche von jungen Menschen, die Anschluss suchen und dann in dieser Gemeinschaft fälschlicherweise glauben, Anschluss gefunden zu haben.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR