Warum die CSU in Bayern abgestürzt ist

Selbstdemontage einer "Staatspartei"

Auch wenn die Verluste am Ende nicht ganz so derb waren wie die schlechtesten Umfragen vorhersagten – ein zweistelliger Verlust ist ein Debakel. Das muss Konsequenzen haben, meint Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Ein Kommentar.

Markus Söder / © Peter Kneffel (dpa)
Markus Söder / © Peter Kneffel ( dpa )

Wenn es je eine Wahlniederlage eines Wahlsiegers gab, und zwar eine mit monatelanger Ansage und hoch verdient, dann ist es die Watschen, die die bayerischen Wähler gestern ihrer "Staatspartei" CSU gaben. Hier gilt wahrlich: "Hochmut kommt vor dem Fall": In dem hybriden Anspruch, das Volk besser als alle anderen zu kennen und zu vertreten, ließ die Regionalpartei als kleinster Koalitionspartner in Berlin monatelang den Schwanz mit dem Hund wedeln.

Sie äffte rhetorisch die AfD nach, mobbte die eigene Kanzlerin und ließ für nicht mal ein Dutzend Flüchtlings-Zurückweisungen pro Tag an der österreichisch-bayerischen Grenze wochenlang die Republik rotieren.

Sie rief durch ihren Landesgruppenvorsitzenden Dobrindt gar eine "konservative Revolution" aus – historisch eine antiliberale, antidemokratische, präfaschistische Bewegung der Weimarer Republik– und deckte einen politisch anmaßenden Verfassungsschutzpräsidenten, bis dessen SPD und CDU abgepresste Beförderung den Volkszorn auf den Plan rief.

Im eigenen Land versuchte die CSU, statt auf ihre respektable Leistungsbilanz zu verweisen, zu beeindrucken mit einer eigenen Grenzpolizei, einem Raumfahrtprogramm und einer Kreuzpflicht auch in Gebäuden, wo es gar keine kulturell gewachsene Präsenz des Kreuzes gab. Christen und ihre Bischöfe, die sich gegen die plumpe identitätspolitische Instrumentalisierung verwahrten, beleidigte Generalsekretär Blume als "Selbstverleugner". Mit all dem ist das Sündenregister der in sich auch noch zerstrittenen CSU-Führung noch nicht einmal vollständig aufgezählt.

Umfragen zeigen früh, dass sich AfD-Wähler nicht zurückgewinnen ließen

Eindringliche Ermahnungen durch große alte Christsoziale wie den ehemaligen Kultusminister Professor Hans Maier oder Ex-Fraktionschef Alois Glück wurden von der erst durch Übermut, dann durch Panik getriebenen Parteiführung in den Wind geschlagen. Man verließ sich auf andere Berater oder blieb beratungsresistent.

Dabei zeichnete sich in Umfragen schon früh ab, dass man auf diese Art kaum Wähler von der AfD zurückgewinnen konnte – während mit anhaltender Penetranz des Werbens an der rechten Flanke die Frustrationstoleranz liberal-konservativer und christlicher Wähler strapaziert wurde. Im Sommer kam es dann schließlich zum Einbruch der Umfragewerte. Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht.

Es griffe allerdings zu kurz, die Niederlage nur mittelmäßigen, sich selbst überschätzenden Köpfen und Charakteren an der Parteispitze zuzuschreiben. Ein Teil der CSU, bis hinein in die Parteijugend – etwa von München Nord – wurde längst vom ideologischen Rechtsruck erfasst, ist auf Orban-Trip und für die liberale Demokratie wohl bis auf Weiteres verloren.

Im EU-Parlament stimmten nicht von ungefähr alle CSU-Abgeordneten außer dem zu höheren Ämtern strebenden Manfred Weber gegen das Artikel-7-Verfahren zu Ungarn wegen der Verletzung von EU-Grundwerten. Überhaupt machte sich der gemäßigte Parteiflügel in dem verhängnisvollen Radikalisierungsprozess zu wenig bemerkbar, sei es aus Konfliktscheu und Korpsgeist, sei es aus gefühlter Abhängigkeit von der Parteiführung oder aus Resignation gegenüber dem Trend – ein Trend allerdings, der überschätzt wurde, indem man an den Lautesten Maß nahm und sie für das Volk hielt. Da hatte man aber die Rechnung ohne die Liberalitas Bavarica gemacht.

Erinnerungen an die Weimarer Republik werden wach

Die Rechtsdrift der CSU erinnert an das Agieren der Bayerischen Volkspartei (BVP) der Weimarer Republik. Diese katholische Partei unterstützte bei den Reichspräsidentenwahlen 1925 mehrheitlich nicht den Zentrumskandidaten und katholischen Rheinländer Wilhelm Marx, sondern den preußisch-protestantischen Militär und Kandidaten der Rechten, Paul von Hindenburg. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt.

Aber Geschichtsbewusstsein und entsprechende Kenntnisse – mit denen Franz-Josef Strauß noch glänzte – kann man bei den nassforschen Typen der jetzt tonangebenden mittleren Parteigeneration wohl nicht mehr voraussetzen. Hinzu kommt: Soweit Jüngere die Älteren anhören, sind dies nicht Waigel, Beckstein, Glück, Stamm oder Maier, sondern: Edmund Stoiber, der in Moskau Putin umarmte und sich mit seinen sprachlich holprigen, selten geistreichen, dafür aber rhetorisch überengagierten Monologen einen Platz in den Talkshows unserer Republik gesichert hat.

In der letzten Vorstandssitzung vor der Landtagswahl soll Peter Ramsauer von Infoständen im Straßenwahlkampf berichtet haben: Dort würden immer wieder die Namen von "drei Berliner Politikern" als Grund für die Abkehr von der CSU genannt. Gewiss nicht gemeint war damit Entwicklungsminister Müller, der vorbildlich sachorientiert und kooperativ sein Amt führt. Die anderen, zumindest Seehofer und Dobrindt – der schon als Verkehrsminister eine Belastung war –, sollten nach dem gestrigen CSU-Absturz ihren Hut nehmen.

Die Verantwortung des Markus Söder

Allerdings sollte sich auch Markus Söder nicht unter Verweis auf "irgendwelche Minister" in Berlin herausreden können. War er es nicht, der Seehofers "Masterplan Asyl" zum "Endspiel um die Glaubwürdigkeit" der CSU hochstilisierte? Der zynisch von "Asyltourismus" redete? Der die "Zeit des geordneten Multilateralismus" in Europa für beendet erklärte? Und der so über Wochen "von München aus jeden Tag aufs Neue Öl ins Feuer goss", so schreibt die FAS vor wenigen Tagen, bevor er im Juli, in den Abgrund eines CDU-"Einmarschs" in Bayern blickend, beidrehte?

Nach all den Fehlleistungen retten ihn jetzt nur die Gnade der späten Amtsübernahme, seine gute Vernetzung in der jüngeren Parteifunktionärsschicht, die Scheu, mit der ganzen Parteiführung auf einen Schlag tabula rasa zu machen und ein Ergebnis, das am Ende nicht so schlecht ausfiel wie die schlechtesten Umfragen. Für den Griff nach dem Parteivorsitz dürfte Söder durch das Minus von zehn Prozent allerdings zu angeschlagen sein.

Als Fegefeuer hätte die entgleiste CSU eigentlich die gefühlten grünen Wahlsieger als Koalitionspartner verdient. Wahrscheinlicher ist, dass die nach rechts gerückte Partei ein ideologisch weniger divergierendes Bündnis mit den Freien Wählern verhandelt. In Berlin sollte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann Seehofer als Minister beerben.

Auch an der Parteispitze würde es der ganzen Republik gut tun, wenn das Chef-Modell "röhrender Hirsch" in der CSU nicht mehr als alternativlos betrachtet würde. Sein Duell mit Merkel hat Seehofer jedenfalls krachend verloren: Bei der Politikerzufriedenheit deklassiert die Kanzlerin ihn laut ARD-Deutschlandtrend mit 44 zu 22 Prozent, und von den Anhängern der Union ist kaum jeder Vierte mit der CSU in der Bundesregierung zufrieden, mit der CDU hingegen eine Zweidrittelmehrheit.

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende

Bringt die CSU jetzt nicht die Selbstreinigungskräfte, die Demut und die Disziplin auf, zu konstruktiver Regierungsarbeit mit wenigstens teilweise erneuertem Personal zurückzukehren, dann zieht sie auch CDU und SPD weiter herunter – und könnte die Frage der Trennung der Schwesterparteien erneut aufwerfen.

Denn lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ohne die CSU-Abgeordneten hätte im derzeitigen Bundestag zwar die "GroKo" keine Mehrheit mehr, wohl aber eine Kenia-Koalition. Und bei Neuwahlen wohl auch ein Jamaika-Bündnis. Die erstarkten Ränder können nur von kompromissbereiten Demokraten in Schach gehalten werden. Vielleicht dämmert das nach ihrer Wackelpartie inzwischen auch der FDP.

Ihr verantwortungsscheuer Vorsitzender hat das Siechtum der SPD wahrscheinlich mehr befördert als deren durchaus respektable Ressortleistungen in der Bundesregierung es rechtfertigen können. Die Beliebtheit ihres Außenministers Maas und ihres Finanzministers Scholz im "Politbarometer" ist sogar spitze. Man kann der SPD nur wünschen, dass sie auf den Undank der Wähler nicht kopflos reagiert und bei einer staatspolitisch verantwortlichen Haltung bleibt. Ein leichter Aufwind bei den letzten Umfragen zur Hessen-Wahl in zwei Wochen sollte sie dazu ermutigen.

Informationen zum Autor: Dr. phil. Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist. Zuletzt erschien von ihm: 'Wie katholisch ist Deutschland - und was hat es davon?' 


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )
Quelle:
DR