Selbsthilfegruppe: Hochqualifiziert, über 50 und arbeitslos

Diagnose schwer vermittelbar

Die langjährige leitende Angestellte Heike sucht verzweifelt einen Job. Auch der studierte Historiker Bodo erhält immer nur Absagen. Beide sind über 50 und arbeitslos, zusammen wollen sie es aus der Misere schaffen.

Autor/in:
Jacqueline Goebel
Für viele kein leichter Gang (dpa)
Für viele kein leichter Gang / ( dpa )

Irgendwann fing die ehemals leitende Angestellte Heike an, Bewerbungen an Bäckereien zu schreiben. Sie wollte dort Brötchen verkaufen, sich vielleicht weiter hocharbeiten. "Da kommt leider nicht mal irgendeine Resonanz", sagt die 51-Jährige. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer, es ist hell und freundlich eingerichtet, moderne Möbel. Heike hat sie gekauft, als sie noch gutes Geld verdiente, als Fachkraft in einem Hotel. Dort trug sie die Verantwortung für das Budget und auch das Personal für ihren Bereich. Sie habe die Berufserfahrungen und die Qualifikation, sagt Heike. Und doch ist sie seit über einem Jahr arbeitslos.

Raum für Ängste und Ärger

Die 51-Jährige hat deshalb in Essen eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen, für qualifizierte Arbeitslose über 50 Jahren. Da ist Burkhart, ein ehemaliger Vermögensberater. Und Frank, der Controller. Martina, die in der Medienbranche tätig war. Bodo, der als Lehrer und Mediengestalter gearbeitet hat. In der Gruppe sprechen sie sich nur mit Vornamen an. Wer will, soll anonym bleiben können. Hier soll man offen sprechen können, über Ärger mit dem Amt, oder über die Angst, alles zu verlieren, was man sich über die Jahrzehnte aufgebaut hat.

Die Deutschen arbeiten immer länger: Die Zahl der Berufstätigen unter den Älteren nimmt seit Jahren zu. Zwischen 2002 und 2012 stieg die Erwerbsquote bei Menschen zwischen 55 und 60 Jahren um 8,8 Prozentpunkte auf 79,1 Prozent, die Quote bei 60 bis 65-Jährigen hat sich im gleichen Zeitraum sogar auf 49,6 Prozent verdoppelt, ergibt eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2013. Insgesamt waren im Jahr 2012 durchschnittlich 546.000 Menschen im Alter von 55 Jahren und mehr arbeitslos.

Das Risiko des Jobverlustes ist im Alter zwar niedriger, und generell ist auch die Arbeitslosenquote bei Qualifizierten geringer. Doch wer seine Arbeit verliert, hat es schwer, neue zu finden. Auch, wenn man qualifiziert ist, wie aus der Studie zu entnehmen ist

"Ich fühl mich wie ein Verunfallter"

Bodo verlor seinen Job mit 53 Jahren. Über 20 Jahre arbeitete der studierte Historiker und Lehrer in einer Werbeagentur als Mediengestalter. Dann verlegte das Unternehmen seine Abteilung ins Ausland, er und ein etwa gleichalteriger Kollege verloren den Job, erzählt Bodo. Eine betriebsbedingte Kündigung. Auf seine Bewerbungen erhält er nur Absagen - wenn überhaupt eine Antwort kommt. "Ich fühl mich wie ein Verunfallter, Arme und Beine gebrochen, und der Rettungssanitäter steht daneben und sagt: Es wird schon", sagt Bodo.

"Ältere haben häufiger trotz vorhandener Ausbildung Schwierigkeiten, ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung zu beenden", schreibt die Bundesagentur für Arbeit dazu. "Ihr Alter an sich ist ein Vermittlungshemmnis."

Wer trotz Qualifikation in dem Alter noch arbeitslos werde, müsse sich oft rechtfertigen, sagt Gerhard Bosch, Direktor des Duisburger Instituts für Qualifikation und Arbeit. "Für diejenigen ist es ein großes Problem, über das Vorurteil gescheitert zu sein, hinweg zu kommen."

Ältere müssen sich darauf einstellen, bei der Stellensuche Abstriche zu machen: Im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen sind Ältere seltener für Tätigkeiten vorgesehen, die ihren formalen Bildungsabschlüssen entsprechen, ergibt eine Studie der Bundesagentur für Arbeit.

"Einerseits haben ältere Akademiker vielleicht einen gewissen Anspruch an eine Arbeitsstelle", erklärt Arbeitsmarktexperte Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit. "Auf der anderen Seite sehe ich immer noch Vorbehalte bei Arbeitgebern Ältere einzustellen, insbesondere Hochqualifizierte, weil die vielleicht auch als etwas schwieriger gelten."

Die Erfahrung als Führungskraft wird bei der Suche nach einem neuen Job auf einmal zum Nachteil. In der Hotelbranche habe ein Generationenwechsel stattgefunden, sagt Heike. Die Manager seien heute Mitte 30, und nicht Mitte 50. "Eine 30-Jährige stellt natürlich nicht eben unbedingt mich ein oder möchte mich als Kollegin haben, weil sie denken könnte, dass ich ihr in manchen Dingen durch meine Lebens- und Berufserfahrung überlegen sein könnte", sagt die 51-Jährige. "Die Unternehmen haben Angst, dass sie sich einen unzufriedenen Kandidaten einholen, der seine Rolle nicht akzeptiert", sagt Gerhard Bosch, Direktor des Duisburger Instituts für Arbeit und Qualifikation.

Arbeitsmarktexperte Eichhorst ist zuversichtlich, dass sich der Arbeitsmarkt für Ältere wieder entspannt. Hotelfachfrau Heike ist nicht so optimistisch: "Eigentlich denkt man: Im Alter geht's mir gut, ich lebe ein schönes Leben. Bei uns allen ist das mit einem riesigen Fragezeichen versehen, wie wir im Alter dastehen."


Quelle:
dpa