DOMRADIO.DE: Wie geht die katholische Kirche mit Populismus auch in den eigenen Reihen um?
Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz): Wir müssen wahrnehmen, dass es den Populismus gibt und zwar in der Gesellschaft aber eben auch in der Kirche. Und dann müssen wir deutlich machen: populistische Auffassungen sind mit dem Evangelium, mit der Botschaft Jesu, nicht zu vereinbaren. Wir müssen dem Populismus widerstehen. Denn Populismen sind ja immer menschenverachtend, sie machen Menschen klein und sie verurteilen Menschen. Das geht nicht mit dem Evangelium zusammen.
Das müssen wir den Leuten bewusst machen. Das müssen wir erklären. Darüber müssen wir reden. Auch darüber, warum die Leute so ticken. Es hat sehr viel mit Ängsten zu tun. Und an diese Ängste muss man irgendwie herankommen.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie bei sich in Hamburg mit diesem Phänomen um?
Heße: Es ist wichtig, das Phänomen wahrzunehmen und dann in den Dialog einzusteigen. Der Dialog muss in einem guten Rahmen stattfinden. Er muss vor allen Dingen auch würdig und differenziert ablaufen. Plattitüden und Schwarz-Weiß-Muster helfen da nicht weiter. Der Dialog muss in den Pfarreien stattfinden. Aber auch auf Diözesanebene und darüber hinaus.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie auf die Entwicklungen rund um die Sea Watch 3 und Kapitänin Rackete geblickt?
Heße: Ich habe mit großer Sorge sehr genau verfolgt, was da abläuft. Ich habe auf Sizilien die Wracks von Flüchtlingsbooten gesehen. Da stand mir sehr klar das Schicksal der Menschen vor Augen, die dort ums Leben gekommen sind. Ich habe in meinem Büro ein kleines Kreuz, geschnitzt aus einer Planke eines Lampedusa-Bootes. Das habe jeden Tag vor Augen und denke mir: Das ist das Kreuz, das heute durch die Welt getragen wird.
Ich bin der Frau Rackete und ihrer Mannschaft sehr dankbar, dass sie sich so klar für die Menschen in Not einsetzen. Für meine Begriffe kann das auch gar nicht anders sein. Wenn jemand in Lebensnot ist, dann kann ich ihn nicht sich selbst überlassen und seinen Tod in Kauf nehmen. Dann muss ich alles tun, um ihn zu retten. Das hat sie getan und ihr eigenes Wohl hinten angestellt. Dafür zolle ich ihr hohen Respekt.
Es ist unsere Aufgabe als Kirche, deutlich zu machen, dass der Mensch und der Mensch in Not immer Vorrang hat. Politik muss sich diesem ethischen Imperativ stellen und danach handeln. Die Politik muss dringend gemeinsame Handlungsweisen entwickeln. Sie darf sich nicht damit zufrieden geben, die Mauern höher zu machen und eine Politik der geschlossenen Häfen zu verfolgen. Damit kann man das Problem nicht lösen.
DOMRADIO.DE: Es ist ja nicht nur Italiens Innenminister Salvini, der versucht nsolche Menschen, die helfen, zu kriminalisieren.
Heße: Das geht gar nicht. Frau Rackete ist keine Kriminelle. Sie ist eine Lebensretterin.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen Appell an das neue EU-Parlament, an die neue Kommission?
Heße: Mein Wunsch wäre, dass die Politikerinnen und Politiker und auch das neue EU-Parlament sich noch viel stärker den globalen Pakten der UN für Flucht und Migration verschreiben. Wir brauchen eine globale Flüchtlingspolitik. Es muss ein großer Wurf miteinander werden. Es braucht sichere und legale Wege der Migration. Migration ist ein ganz großes Kennzeichen unserer Zeit. Und das wird wahrscheinlich noch stärker werden. Von "Mauern hoch" halte ich gar nichts. Ich wünsche mit eine gemeinsame, abgestimmte Politik.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.