Jostina Sangweni starb, weil sie eine Hexe war. Zumindest warf ihr das der wütende Mob vor, als er die Südafrikanerin in Brand steckte. Tatsächlich hatten Ärzte bei Sangweni vor kurzem Schizophrenie attestiert. Die Frau hatte sich in ein Nachbarhaus verirrt und dort nach Hilfe gefragt. Doch für Erklärungen blieben der 59-Jährigen keine Zeit, schon flogen Steine und die Fäuste ihrer Nachbarn auf sie ein. Sie starb vergangene Woche im Krankenhaus.
Der Vorfall im größten Township des Landes Soweto sorgte landesweit für Aufsehen. Dabei war diese "Hexenjagd" in dem sonst so modernen Schwellenland kein Einzelfall.
Moderne Hexenverfolgungen sind Realität
Auch im 21. Jahrhundert stehen Menschen im Verruf, durch "Hexenkräfte" Krankheiten, Unwetter und Pech zu bringen. Moderne Hexenverfolgungen sind vor allem in Ländern Lateinamerikas, Südostasiens und Afrikas eine Realität. Ist die Anschuldigung einmal ausgesprochen, ändert sich das Leben der Beschuldigten - meist Frauen - grundlegend. Auch ihre Familien leben fortan in ständiger Angst, als Hexenkinder aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden.
Das Internet kommt per Glasfaserkabel, das Essen via Online-Bestellung und zur Arbeit führt die fünfspurige Autobahn - Südafrikas Metropolen präsentieren sich modern. Wieso in einem weltoffenen Schwellenstaat dennoch jedes Jahr Schlagzeilen von "Hexenmorden" die Gesellschaft schockieren?
Die Historikerin Julie Parle von der Universität KwaZulu-Natal sieht hier keinen Widerspruch: "Der Glaube an das Übernatürliche oder Verborgene ist ein genauso modernes Phänomen wie der religiöse Glaube. Statt zu verschwinden, breitet er sich weiter aus." Verantwortlich dafür sei neben der Popularisierung durch Fernsehen und Internet auch die Lehre einiger Kirchen, die Exorzismen betreiben.
2010 schlug erstmals UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Alarm. Demnach würden auch Kinder in West- und Zentralafrika zunehmend Opfer des Hexenwahns. Die 8- bis 14-Jährigen seien meist obdachlos, lebten mit Albinismus oder mit einer Behinderung. Was es heißt, von Nachbarn oder gar der eigenen Familie als "anders" gebrandmarkt zu werden, erfahren auch Witwen am eigenen Leib. Sie werden in einigen Ländern manchmal beschuldigt, den Tod eines Verwandten oder eine schlechte Ernte heraufbeschworen zu haben.
Die UNO hält in ihrem im März veröffentlichten "Weltbericht über Altersdiskriminierung" fest: "Solche Anschuldigungen können dazu führen, dass ältere Frauen geächtet und vernachlässigt, aus ihrer Gemeinde verbannt oder in Brand gesteckt, gesteinigt, angekettet und in einigen Fällen getötet werden." Allein in Tansania seien zwischen 2004 und 2009 etwa 2.500 vermeintliche "Hexen" ermordet worden.
Ähnliche Berichte kamen in den vergangenen Jahren aus Kenia, Simbabwe, Malawi, Somalia und Südafrika.
"Hexendörfer" als Zufluchtstätten
In Ghana leben laut lokalen Medien mehr als 1.000 Frauen in sogenannten "Hexendörfern". Das sind Zufluchtsstätten, in die sich beschuldigte Frauen retten können. Expertin Parle bezweifelt jedoch, dass diese Camps zur Beseitigung des Stigmas beitragen. Dies könne nur durch "soziale und wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und ethische Führung" geschehen.
Manche Länder, darunter Südafrika oder Malawi, haben das Problem erkannt und Gesetze erlassen, die Beschuldigungen der Hexerei unter Strafe stellen. Allerdings scheinen die Ordnungshüter mit Fällen überfordert, in denen laut Parle Patriarchie, Frauenhass und Sündenbockverhalten eine Rolle spielten.
Der grausame Mord an Jostina Sangweni in Südafrika soll nicht ohne Folgen bleiben. Während ihre Familie "Gerechtigkeit" fordert, ermittelt nun auch die staatliche Kommission für den Schutz von Kultur-, Religions- und Sprachgruppen (CRL). Sie will zusätzlich zu den Polizeiermittlungen untersuchen, wie es zu dem Verbrennungstod der 59-Jährigen kam.
"Es ist barbarisch, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen und ein Leben so zu beenden", sagte der Vorsitzende, Luka David Mosoma, am Montag. "Zudem spiegelt es nicht wider, wo wir in der heutigen Zeit stehen."