Ihr Motiv war wohl verrückte Leidenschaft. Luminita Ruxandra Solcan, Elektroingenieurin aus dem rumänischen Iasi, wollte eigentlich viel lieber Ordensfrau werden. Doch weil ihre religiöse Schwärmerei offenkundig und ihre psychischen Probleme einschlägig bekannt waren, wurde sie nirgends aufgenommen. Selbst in der ökumenischen Brüdergemeinschaft von Taize - wo freilich nur Männer leben - versuchte sie vergeblich ihr Glück.
Als sie auch auf dem Hügel in Burgund abgelehnt wurde, machte die 36-Jährige eine vermeintliche freimaurerische Verschwörung aus. Nach ihrer Mordtat am 16. August 2005 erklärte sie, dass sie den Taize-Gründer Frere Roger nur vor Verschwörern habe warnen wollen; jemand anders müsse ihn erstochen haben. Ihrer Verhaftung widersetzte sie sich nicht.
"Unlösbare Konflikte in sich"
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in dem die Kirche Europas händeringend nach Ordensberufungen sucht, ausgerechnet eine Frau einen der größten christlichen Hoffnungsträger tötet, weil sie sich nichts mehr wünschte, als in einen Orden aufgenommen zu werden.
Der Taize-Bruder Francois schrieb einmal, für einen Menschen, der "unlösbare Konflikte in sich trägt", sei die Unschuld von Frere Roger unerträglich gewesen. Und, einen französischen Arzt zitierend: "Wenn das Licht zu hell leuchtet (...), bleibt nur die Lösung, diese strahlende Lichtquelle auszulöschen, indem man sie beseitigt."
Religiöse Verzückung und Visionen
"Sie fehlte in kaum einem Gottesdienst", erinnerte sich ein Gemeindemitglied im rumänischen Iasi. Das Problem: Luminita Solcan ging ganz auf in religiöser Verzückung und Visionen; sie hörte Stimmen und drängte in rumänischen Ordensgemeinschaften auf eine Aufnahme. Doch da war sie bereits bei ihrer Diözese aktenkundig.
Mit dem Tod ihres Vaters, ebenfalls Elektroingenieur, reißt offenbar Luminitas Band zur Realität. Bei der Beisetzung fällt sie durch ein irres Lachen auf. Keine Rede mehr davon, dass die so intelligente wie sprachbegabte Absolventin Anstellung in ihrem Studienfach suchte. Seit 2000 ist sie in psychiatrischer Behandlung; einer stationären Einweisung 2003 widersetzt sie sich aber erfolgreich.
"Sie wusste nicht, was sie tat"
Stattdessen verfolgt sie in Ägypten, in der Schweiz und in Frankreich ihren Traum vom Ordensleben. Für den 14. August 2005 bucht sie einen Flug nach Lyon, checkt in Taize ein. Dort kennt man sie als schwierig – doch natürlich pflegt man seine Willkommenskultur. Am 16. August kauft die Touristin in einem Jagdgeschäft im nahen Cluny ein extrascharfes Klappmesser; der Rest ist Geschichte.
"Vater, verzeih ihr, denn sie wusste nicht, was sie tat": So betete der neue Taize-Prior Frere Alois bei der Beisetzung des Gründers – in Anlehnung an das Wort Jesu am Kreuz. Und denselben Satz sagte er auch 2008 in der Kathedrale von Iasi, gemeinsam mit der unglücklichen Mutter von Luminita. "Es war mir ein großes Bedürfnis, mit dieser tiefgläubigen Frau zu beten", sagte Frere Alois später. "Sie hat keine anderen Angehörigen mehr – und gemeinsam konnten wir ihre Tochter der Vergebung Gottes anvertrauen."
Seit 2012 in psychiatrischer Einrichtung
Wie Luminitas Mutter waren damals auch die vielen rumänischen Taize-Pilger geschockt. Es brauchte viel Überzeugungskraft der Brüder, um eine Abreise der Rumänen und einen möglichen kollektiven Schuldkomplex zu verhindern.
Luminita Solcan wird am 4. September 50 Jahre alt. Seit 2012 lebt sie in einer psychiatrischen Einrichtung in Grajduri, gut zehn Kilometer von ihrer Heimatstadt Iasi. Zuvor hatten sich in Frankreich noch weitere Dramen abgespielt. Ende 2007 wurde das Strafverfahren gegen sie eingestellt; sie wurde als unzurechnungsfähig, aber wegen ihrer Schizophrenie als immer noch gefährlich eingestuft. In ihrer geschlossenen Anstalt in Dijon gab sie zwischenzeitlich an, die irische IRA habe Frere Roger getötet.
Dann der März 2011: Die Attentäterin von Taize wird bei einem Messerangriff selbst lebensgefährlich verletzt. Eine Mitpatientin sticht 17 mal mit einem Messer auf sie ein - doch Solcan überlebt. Bald darauf die Verlegung in ihre rumänische Heimat, vermutlich für immer. Zuletzt wurde im Oktober 2018 ein Entlassungsgesuch abgelehnt. Für ein paar Sekunden stand Luminita Solcan im Fokus der Kirchengeschichte. Lieber aber wäre sie wohl Ordensfrau geworden.