SKM zur neuen Wohnungslosen-Statistik

Mehr Menschen in NRW sind ohne feste Wohnung

Ohne festen Wohnsitz waren in NRW im vergangenen Jahr fast 21.000 Menschen. Das sind 5.000 mehr als 2011. Das geht aus der neuen Wohnungslosen-Statistik hervor. Wie kommt es zu diesem Anstieg? 

Schlafsäcke für Obdachlose / © Boris Roessler (dpa)
Schlafsäcke für Obdachlose / © Boris Roessler ( dpa )

domradio.de: Was ist der Unterschied zwischen wohnungs- und obdachlos?

Werner Just (Fachbereichsleiter Sozialdienst katholischer Männer): Wir haben in Deutschland - und ich glaube, das gibt es auch nur in Deutschland - zwei Unterbringungssysteme: einmal nach Sozialrecht und einmal nach Ordnungsrecht.

domradio.de: Nach Sozialrecht bedeutet, dass ich einen Wohnberechtigungsschein habe und darf deshalb eine preiswerte Wohnung beziehen?

Just: Im Sozialrecht sind die Hilfen und Rechtsansprüche für Wohnungslose beschrieben. Darunter fallen in erster Linie Alleinstehende, und zwar alleinstehende Männer. Es gibt unter den Wohnungslosen einen Frauenanteil von circa 20 Prozent. Die Kommune ist verpflichtete, jedem ein Angebot zu machen. Es gibt einen Rechtsanspruch auf diese Hilfe. Die Hilfe erfolgt dann in Form einer Unterbringung in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe.

domradio.de: Und was fällt unter das Ordnungsrecht?

Just: Obdachlosigkeit ist hingegen ein Kriterium, das im Ordnungsrecht, genauer gesagt im Polizeirecht, verankert ist. Die Polizei ist zur Gefahrenabwehr aufgefordert, da jeder Mensch individuelle Grundrechtsgüter hat, die geschützt werden müssen. Wer auf der Straße lebt, ist in seiner Gesundheit und Freiheit bedroht. Aus diesen Gründen ist die Kommune dazu verpflichtet, diese Menschen unterzubringen. Die Unterbringung erfolgt in Hotels, in beschlagnahmten Wohnungen, aber auch in Notschlafstellen, die speziell für diesen Zweck eingerichtet wurden.

domradio.de: Und auf welche Menschen beziehen sich diese Zahlen?

Just: Der Unterschied ist, und das muss man auch bei diesen Zahlen erstmals klarstellen, dass es sich bei diesen Zahlen nicht um die Menschen handelt, die auf der Straße leben, sondern die, die in den beiden Rechtssystemen untergebracht sind. Sie sind also im Regelsystem versorgt. Wir schätzen, dass hier in Köln etwa 200 Menschen tatsächlich auf der Straße leben. Die Unterbringung nach Ordnungsrecht untertscheidet sich von den anderen dadurch, dass kein Mietvertrag vorliegt. Diese Zahl, die jetzt veröffentlicht wurde, besagt damit, dass so viele Menschen in Nordrhein-Westfalen oder in Köln ohne Mietvertrag leben.

domradio.de: Mit den 21.000 Wohnungslosen sind also Menschen gemeint, die nicht alleine in der Lage sind, für eine Wohnung aufzukommen zu können, sondern die Hilfe brauchen?

Just: Die Menschen haben aus den unterschiedlichsten Gründen keine Wohnung. Es gibt dabei Menschen, die brauchen unsere Hilfe, um überhaupt wieder mietvertragsfähig zu werden. Es gibt aber auch Menschen, die durch irgendwelche widrigen Umstände ihre Wohnung verloren haben. Zum Beispiel brennt die Wohnung ab und man hat keine Freunde oder Geld. Dann geht man zur Stadt. Die ist dann verpflichtet jemanden unterzubringen. Wenn dieser eine Wohnung hat, braucht der keine weitere Hilfe. Aber es gibt auch Menschen, und das wird in Deutschland in erster Linie unter dem Begriff "Wohnungslosenhilfe" verstanden, die nicht nur das Problem haben, dass sie keine Wohnung haben. Sondern sie haben darüber hinaus weitere soziale Probleme, die erstmals überwunden werden müssen, um die Mietvertragsfähigkeit wiederherstellen zu können.

domradio.de: Das heißt, Sie sind ein bisschen skeptisch, ob die Zunahme dieser Zahlen zutrifft?

Just: Ich bin mir sicher, dass wir eine deutliche Zunahme haben. Ich kann auch erklären, wie die Zunahme von 2011 auf 2015 entstanden ist. Damals wurden die  Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in die Erhebung noch nicht miteinbezogen. Das ist jetzt der Fall. Von daher erfolgen automatisch mehr Meldungen. Diese Wohnungsnotfallstatistik befindet sich ja noch im Aufbau und sie wird noch weiter entwickelt. Man muss auch berücksichtigen, dass in diesen Zahlen Menschen dabei sind, die seit zwanzig Jahren in Obdachlosenunterkünften leben. Diese Menschen werden jedes Jahr aufs Neue mitgezählt und da stellt sich für mich die Frage, welchen Sinn das macht. Viele leben mit ihren Familien, ihren Kindern in diesen Siedlungen und wir gehen davon aus, dass auch die Kinder dort leben werden. Das Einzige, was sie von der "Normalbevölkerung" unterscheidet ist, dass sie einen Nutzungs- und keinen Mietvertrag haben. Und damit fallen sie nach Ordnungsrecht in die Obdachlosenstatistik mit hinein.

domradio.de: Wie erleben Sie die Situation bei Ihrer Arbeit beim Sozialdienst katholischer Männer? Sind es mehr Menschen, die zu Ihnen kommen und Ihre Hilfe benötigen?

Just: Wir arbeiten in sehr enger Kooperation mit dem Sozialamt der Stadt Köln zusammen. Von daher bekommen wir schon mit, dass dort die Inanspruchnahme der Hilfen enorm steigt und die Stadt gewaltige Unterbringungsprobleme hat. Auch wir haben das Problem, das wir nur Menschen unterbringen können, wenn wir Wohnraum haben und für uns ist es genauso schwer, in Köln Wohnraum oder Häuser zu finden, wie für die anderen Interessengruppen am Markt.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR