In der Stichwahl um den Posten des Gouverneurs von Jakarta stehen sich am Mittwoch der Amtsinhaber und Christ Basuki "Ahok" Tjahaja Purnama und der Muslim Anies Baswedan gegenüber. Der Wahlkampf war geprägt von einer massiven Kampagne radikaler Muslime gegen Ahok, die in einer Anklage wegen Blasphemie gipfelte. Trotzdem gewann Ahok die erste Wahlrunde im Februar mit 43 Prozent. Dicht darauf folgte Anies mit 40 Prozent. Die Lösung der Megaprobleme in der Megastadt scheinen den Wählern wichtiger als islamische Parolen.
Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Teile der Mittelklasse sind zwar regelrechte Ahok-Fans. Die Armen jedoch hat er durch den Abriss von Slums und Vertreibungen verprellt. So wie Sri Sulistyoningsih. Die junge Frau lacht viel, ist voller Energie und Lebenslust - und setzt damit einen Kontrast zur deprimierenden Realität ihres Wohnortes, Kampung Aquarium.
Slum plattgemacht
Vor einem Jahr wurde der Slum im Norden von Jakarta auf Geheiß von Gouverneur Ahok und unter dem Schutz von rund 4.000 Soldaten von Bulldozern plattgemacht. 398 Familien mussten ihre Häuser verlassen, kein Stein blieb in der Siedlung an dem Fischereihafen von Jakarta auf dem anderen. "Revitalisierung" nennt Ahok diese Form der Stadtsanierung.
Bis heute lassen sich zwischen dem Schutt die Reste von Toiletten und Umrisse von Zimmern ausmachen. Ibu Lis, wie sich die 57 Jahre alte Sri Sulistyoningsih kurz nennt, zeigt auf eine Stelle neben der provisorischen Moschee von Kampung Aquarium und sagt: "Da können Sie noch die Fliesen meines alten Hauses sehen."
Gebaut wurde nur ein Hochwasserschutz
Die meisten der vertriebenen Familien wurden in 13 Kilometer entfernte Sozialwohnungen umgesiedelt. "Was soll das?", fragt Ibu Lis. "Hier hatten sie ihre Arbeit. Dort haben sie nichts." Ibu Lis ist geblieben, hat sich mit ihrem Mann Saiman aus Sperrholzplatten, Wellblech und Bambus eine neue Hütte gebaut. Einige andere sind inzwischen zurückgekehrt, leben in Zelten, in Holzverschlägen.
Dazwischen streunen Katzen, gackern Hühner, lassen Väter mit ihren Kindern Drachen steigen.
Warum ließ Ahok den Slum abreißen? "Gute Frage", findet Andesha Hermintomo. "Seit dem Abriss ist nichts passiert. Es wurde lediglich eine Mauer gebaut, die vor Hochwasser schützen soll", sagt der 34 Jahre alte Architekt vom Zentrum "Rujak" für urbane Studien in Jakarta. Er weist auf eine gut zweieinhalb Meter hohe Betonmauer, hinter der Aufbauten von Fischerbooten hervorragen. Vor der Mauer haben Fischer Netze zum Trocknen ausgebreitet. Ihre Boote und das Meer können sie nicht mehr sehen. An der Mauer lehnen klapprige Bambusleitern. "Das ist für die Fischer die einzige Möglichkeit, noch zu ihren Booten zu gelangen", sagt Hermintomo.
"Ahok, der Christ, hat uns verraten"
Kampung Aquarium ist nicht der einzige Slum, den Ahok im Namen von "Revitalisierung" und Schutz vor Überschwemmungen Jakartas während der Regenzeit hat abreißen lassen.
Das Haus von Ibu Lis ist zu einer Art Gemeindezentrum geworden. An der Wand hängen Pläne für eine neue, von "Rujak" zusammen mit den Bewohnern entworfene umwelt- und sozialgerechte Bebauung. Von Wahlplakaten lächelt Anies Baswedan, der Gegenkandidat von Ahok. Bei ihren Sitzungen im Haus von Ibu Lis planen sie den Widerstand, diskutieren über das weitere Vorgehen bei der Klage gegen die Vertreibung.
Einer davon ist der kleinwüchsige Taopaz. "Das ist meine Heimat. Ich wurde hier geboren", sagt der 30-Jährige, der seine Expertise als Eventmanager zur Planung von Demos und anderen Aktionen einsetzt. Die Religion spielt bei dem Kampf um Kampung Aquarium keine Rolle. "Wir haben den Christen Ahok ja vor vier Jahren gewählt", sagt Taopaz. "Aber er hat uns verraten. Jetzt wählen wir Anies."
Erfahrung macht klug. Deshalb haben sich die Menschen in Kampung Aquarium - wie in anderen Armenviertel auch - von Anies Baswedan schriftlich geben lassen, dass er als Gouverneur niemanden vertreibt und für bezahlbaren Wohnraum sorgt. Architekt Andesha Hermintomo ist überzeugt, dass der Widerstand von Ibu Lis, Taopaz und den anderen letztlich erfolgreich sein wird. "Das Leben findet immer einen Weg. Das hat uns die Natur vorgemacht."