"Liebe Eltern! Vor allem müsst Ihr wissen und auch wirklich glauben, dass es mir gut geht", beginnt er zwei Jahre vor seiner Hinrichtung und neun Tage nach der Verhaftung durch die Gestapo das erste, vermutlich von den Nazis zensierte Schreiben aus der Haft.
Es ist eines von rund 2.000 Dokumenten aus dem etwa 30.000 Blatt umfassenden Nachlass Bonhoeffers, die den Fachleuten der Berliner Staatsbibliothek inzwischen ganz besondere Sorgen bereiten. Denn der handgeschriebene Brief ist rundum mit einer dünnen Kunststoffschicht laminiert. An den Stellen, an denen das Blatt einst zusammengefaltet war, ist das Papier mit Klebestreifen fixiert gewesen. Der Kleber hat sich unter dem Kunststoff bereits stark verändert und greift das Dokument an, vier größere Stellen sind inzwischen unlesbar. Und es breiten sich milchig weiße Flecken auf dem Gefängnisbrief aus.
Nachlässigkeit oder gar böse Absicht waren nicht im Spiel
"Wir müssen davon ausgehen, dass dort chemische Vorgänge in Gang sind, die am Papier selbst und an den Schreibstoffen Auswirkungen hinterlassen", fasst der Leiter der Abteilung Bestandspflege der Staatsbibliothek, Andreas Mälck, die Probleme zusammen. Doch das Papier unter der Kunststoffschicht ist für die Restauratoren bislang unerreichbar, sie können den schleichenden Verfall nicht aufhalten. Denn sie wissen nicht, welches Material genau für die Konservierung benutzt wurde, und auch nicht, wie man es wieder ablösen könnte und wie dann das Papier reagiert. Ein Labor sei derzeit mit den technischen und chemischen Details beschäftigt, sagt Mälck.
Nachlässigkeit oder gar böse Absicht waren nicht im Spiel, als der Nachlassverwalter und einstige Schüler Bonhoeffers, Eberhard Bethge, in den 80er Jahren die Laminierung in Auftrag gab und die heutigen Probleme in Gang setzte. Da sind sich die Generaldirektorin der Staatsbibliothek, Barbara Schneider-Kempf, und ihre Mitarbeiter absolut einig.
"Eberhard Bethge hat den Nachlass gerettet", betont die Generaldirektorin. "Er hat nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt." Er habe auf dem damals üblichen Stand der Technik konservieren lassen, was ihm besonders wichtig und wertvoll schien, ergänzt die stellvertretende Leiterin der Handschriftenabteilung, Jutta Weber, zuständig für die Nachlässe in der Staatsbibliothek.
"Es ist einer der wichtigsten Nachlässe"
Wertvoll sind die Dokumente des evangelischen Theologen aus der "Bekennenden Kirche" nicht nur für Wissenschaft und Forschung, sondern auch für zahllose Besucher aus dem In- und Ausland. "Es ist einer der wichtigsten Nachlässe, der besonders oft nachgefragt wird", erzählt Jutta Weber.
Mindestens fünf größere Besuchergruppen kommen jedes Jahr allein aus Amerika, um einen Blick auf Originaldokumente des gebürtigen Breslauers zu werfen, der auch in Barcelona, in London und in den USA als Theologe im Dienst war. Nach seiner Rückkehr 1939 nach Berlin schloss er sich endgültig dem Widerstand an und wurde kurz vor Kriegsende, am 9. April 1945, auf persönlichen Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg mit 39 Jahren hingerichtet. "Viele Leute kommen, um sich die Briefe anzusehen wie Reliquien."
Weihnachtswunschzettel und Kinderbriefe gehören zu den frühesten erhaltenen Schriftstücken, die letzten sind Briefe Bonhoeffers vom März 1945 an die Eltern und an Eberhard Bethge. 1996 hat die Berliner Staatsbibliothek den Nachlass übernommen. Mittel in "deutlich sechsstelliger Höhe" seien nun für den Erhalt der laminierten Blätter und von rund 8.000 weiteren schadhaften Dokumenten erforderlich, überschlägt Barbara Schneider-Kempf. Spender und Stiftungen will sie dafür als Förderer gewinnen. Im Herbst ist in Berlin ein Benefizabend geplant.
Sorge um die Schriften Dietrich Bonhoeffers
Noch unerreichbar für die Nachlass-Retter
"A 76 - Tegel - Bd. 1", steht auf der Mappe aus beigefarbenem Pappkarton. Briefe des evangelischen Theologen und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel sind in der Mappe archiviert. Eines von rund 2.000 Dokumenten aus dem Nachlass Bonhoeffers, das der Berliner Staatsbibliothek Sorgen bereitet.
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