domradio.de: Die deutsche Autoindustrie war ja immer so etwas wie das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Sie galt als solide, produktiv - und zuverlässig als Arbeitgeberin. Dass die Bundesregierung nun um das Image des Wirtschaftsstandortes Deutschland bangt, scheint da absolut angemessen, oder?
Professor Peter Schallenberg (Sozialethiker): Das glaube ich auch, dass das angemessen ist, weil dieses Problem jetzt schon seit über einem Jahr schwelt. Es ist in den USA entstanden, das haben wir ja alle mitbekommen. Natürlich ist die Autoindustrie, weil sie so mächtig ist und das auch weiß sowie viel von ihr abhängt, auch in der Lage Druck auszuüben. Ich glaube schon, dass hier ein gewisses Problem und Erfordernis um Transparenz zu sehen ist. Man muss jetzt sehen, wie man möglichst schnell die Schuldigen dann auch benennt und Strukturen erkennen kann, damit solche Dinge nicht wieder vorkommen. Aber es ist ganz klar: Die Autoindustrie ist ein großer Stützpfeiler unserer Wirtschaft und dadurch besonders anfällig.
domradio.de: Die Köpfe der Autofirmen haben also systematisch gelogen und betrogen. Und zwar über Jahre hinweg. Was für eine Signalwirkung geht davon aus - in die Gesellschaft hinein?
Schallenberg: Das ist ja das grundsätzliche Problem zwischen Ideal-Ethik und Strukturen-Ethik, wie wir das nennen in der Ethik und in der Moraltheologie. Auf der einen Seite sind es natürlich Menschen, die Entscheidungen treffen und die bestechlich sind oder die auch schlicht und einfach geneigt sind kurzfristige halb-legale Mittel einzusetzen, um mittelfristig und langfristig wieder auf einen sinnvollen Erfolgskurs zu kommen. Man muss nicht immer direkt das Schlimmste annehmen. Auf der anderen Seite sind es eben Strukturen, die eben verhindern wollen, dass Menschen überhaupt in Versuchung geraten zu solchen Mitteln zu greifen.
Das haben wir ja vor zehn Jahren bei der Bankenkrise in ähnlicher Weise erlebt und erleben es jetzt bei der Autoindustrie. Wir brauchen nicht lange zu gucken, um andere Industriezweige zu nehmen. Ein Beispiel ist die Bekleidungsindustrie, von der wir alle wissen, dass sie natürlich intransparente Produktionsstandorte in Ländern der Dritten Welt, in Entwicklungsländern, hat. Im Grunde kommt es darauf an, transparente Strukturen und Aufsicht so wahrzunehmen, dass Menschen nicht in Versuchung geraten, halb-legale Wege zu gehen.
domradio.de: Angenommen, die Autoindustrie würde Sie in dieser Situation als Berater engagieren, was würden Sie den Verantwortlichen am dringendsten ans Herz legen?
Schallenberg: Das A und O von allem ist die Transparenz. Das haben wir in der katholischen Kirche ja auch erlebt beim Missbrauchsskandal. Man muss vollkommen und radikal alles offenlegen und Handlungsabläufe und Entscheidungsabläufe nachvollziehbar machen. In dem sicheren Bewusstsein, dass das ohnehin – selbst wenn man es nicht selbst offen legt – herauskommen wird. Nur zieht es sich dann quälend lang hin und damit ist immer auch ein Vertrauensverlust der ganzen Branche und der verschiedenen Unternehmen verbunden. Da hilft, glaube ich, nicht die Hoffnung, dass irgendetwas unentdeckt bleibt. Heute kommt alles raus. Deswegen muss man pro-aktiv alles offenlegen und sagen, wir haben da Fehler gemacht, und wir versuchen jetzt unser Bestmögliches zu tun, um das anders zu machen.
domradio.de: Wenn dann alles transparent ist und klar ist, wer die überwiegende Schuld trägt, muss es dann Konsequenzen haben?
Schallenberg: Es muss Konsequenten haben für die Betroffenen. Aber man muss, glaube ich, zwei Dinge auseinander halten. Erstens wollen wir Strukturen-Ethik betreiben und deswegen keine strikte individuelle Einzelhaftung – insbesondere bei börsennotierten Unternehmen. Die unterliegen Aufsichtsgremien. Die geben ihre Verantwortung nicht einfach ab, aber man muss auch die Aufsichtsgremien – insbesondere den Aufsichtsrat – befragen, ob der seiner Verantwortung gerecht geworden ist. Man muss dann Strukturen schärfer fassen und Gesetze schärfer fassen, so dass Strukturen besser gestrickt sind.
Das Zweite: Man braucht jetzt nicht immer vom Allerschlimmsten auszugehen. Ich glaube schon, dass der ein oder andere der Meinung war, man könne durch eine solche eingebaute Software, beispielsweise bei den Dieselfahrzeugen, Zeit gewinnen, um die entsprechenden Innovationen vorzubereiten und auf den Weg zu bringen. Das ist schon ein hartes Konkurrenzgeschäft. Da hängen viele Arbeitsplätze dran. Ich würde schon den Beteiligten – auch denen, die sich etwas zu Schulden kommen lassen – unterstellen, dass sie zunächst einmal guten Willen hatten, wenn auch mit illegalen Mitteln. Ich würde da nicht zu schnell auf die Ebene von individueller Bosheit oder individueller Bereicherung abgleiten wollen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.