Sozialethiker zu Abgas-Manipulationen durch VW

Für das grüne Gewissen

Zum Betrug gehört nicht nur der Betrüger, sondern im Fall von VW auch die Kunden: Weil sie sich möglicherweise ein grünes Gewissen kaufen wollten. Das sagt der Sozialethiker Matthias Möhring-Hesse im domradio.de-Interview.

Das Volkswagen-Logo / © Ole Spata (dpa)
Das Volkswagen-Logo / © Ole Spata ( dpa )

domradio.de: Was bedeutet das Vorgehen des Konzerns Ihrer Ansicht nach aus ethischer Sicht?

Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse (Prof. für Sozialethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Tübingen): Da gibt es verschiedene Dimensionen. Die interessanteste ist vielleicht, dass sich hier ein Konzern durch einen fortgesetzten Betrug strafrechtlich schädlich verhalten hat, inklusive der Schädigung von Umwelt und von Menschen. Das ist ein Ausmaß, das wir nicht geringschätzen sollten. Zumal das Verhalten des VW-Konzerns ja nicht zum ersten Mal strafrechtlich verfolgt wird. Erst vor einigen Jahren wurde ja das Einkaufen der Betriebsräte strafrechtlich verfolgt. Peter Hartz, der damalige Personalvorstand, hat dafür ja auch eine Gefängnisstrafe auf Bewährung bekommen. Dieser Konzern ist also zum zweiten Mal mit einem enormen Fehlverhalten aufgefallen und das in einem Land, den USA, wo nicht nur Personen, sondern auch Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden können.   

domradio.de: Es waren ja auch ranghohe Manager in dieses Vorgehen bei VW eingeweiht. Würden Sie sagen, Geld und Karriere schlagen inzwischen alles und setzen alle ethischen Bedenken außer Kraft? 

Möhring-Hesse: Wir können das nicht als Personenproblem beschreiben. In Deutschland sind wir dazu angehalten, eine persönliche Schuld und ein persönliches Versagen zu entdecken. Vorher können wir strafrechtlich nichts tun. Die USA sind in dem Punkt weiter. Sie können Unternehmen verfolgen. Es ist also nicht die Frage, ob Person und Karriere und die Gier von Managern eine Rolle spielen. Sondern die Frage ist, wie Unternehmen in kapitalistischen Ökonomien aufgestellt sind. Dann können wir entdecken, dass sich insbesondere die Global Player wie VW konsequent der politischen Steuerung und staatlichem Recht zu entziehen suchen. Und in diesem Fall nicht durch legale Tricks, sondern durch fortgesetzten Betrug.   

Das interessiert mich sozialethisch: Dass die starken und transnational tätigen Konzerne bereit und in der Lage sind, sich gesellschaftlichen Auflagen und staatlichem Recht zu entziehen. Und in diesem Fall trifft es ja sogar einen Konzern, der gar nicht zu den einschlägigen neoliberalen Konzernen gehört. VW ist ja teilweise in staatlicher Hand und hat eine starke Mitarbeitervertretung. Damit ist VW ein Paradebeispiel für das dem Gemeinwohl verpflichtete, arbeitnehmerorientierte und langfristig denkende Unternehmen. Dass selbst so ein Unternehmen in den Drang kommt, sich der staatlichen Steuerung aus Gewinninteressen zu entziehen, das sollte uns sozialethisch äußerst beunruhigen.

domradio.de: Nach außen wird von vielen Firmen gerne ein nachhaltiges Image aufgebaut: Wir sind umweltbewusst, produzieren unter fairen Bedingungen, unterstützen arme Länder. Meinen Sie, da steckt gar nicht viel dahinter, es ist im Prinzip nur ein PR-Gag?

Möhring-Hesse: Es ist immer auch ein PR-Gag. Unternehmen wollen Gewinne machen, dafür sind sie da. Da sollten wir uns nicht zu fein sein und den Konzernen das auch zugestehen. Deshalb sind alle Versprechen, was grüne Produkte angeht, immer auch Marketingversprechen. Für die Verbraucher ist wichtig, wie sehr man sich auf diese Versprechen verlassen kann. Ob es Instrumente und Institutionen gibt, die die Versprechen kontrollieren. 

Da sind wir bei einem zweiten interessanten Phänomen: Solche Betrügereien wie jetzt bei VW können ja nur funktionieren, wenn die staatlichen Kontrollen für die manipulierte Software auch anfällig sind. Wenn man so prüft, wie offenbar geprüft wird - nämlich dass ein Auto nicht in Normalsituation, sondern in einer Sondersituation auf Abgase geprüft wird -, muss man sich nicht wundern, dass Unternehmen sich auf diese Sondersituationen per Software einrichten. Soll heißen: Der Betrug ist ein Problem, das wollen wir nicht schönreden. Aber es ist auch ein Problem, dass sich staatliche Stellen haben betrügen lassen.   

Außerdem ist auch ein Problem, dass sich Konsumenten durch solche Versprechen ein grünes Gewissen einkaufen. Das Versprechen, dass man kaum Schadstoffe durch Mobilität erzeugt, gefällt Konsumenten und möglicherweise lassen sie sich auch gerne von solchen Zahlen betrügen.

domradio.de: Zuletzt noch eine Frage zu Martin Winterkorn, der nun 28 Millionen Euro Abfindung bekommt. Ist das ethisch gesehen in Ordnung?

Möhring-Hesse: Wir könnten darüber reden, ob solche Abfindungen in Millionenhöhe gegenüber anderen Gehältern in einem Unternehmen überhaupt gerechtfertigt sind. Da habe ich schon Zweifel. Aber in diesem Fall geht es darum, ob man nach deutschem Strafrecht Herrn Winterkorn zugestehen kann, dass er von all dem nichts hat wissen können. Dann würde ich vermuten, dass das Unternehmen gar keine andere Möglichkeit hat, als den Verpflichtungen nachzugehen und die abgemachte Abfindung zu zahlen. Aber es hat allemal Geschmäckle und macht den VW-Konzern nicht beliebter. 

 

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR