domradio.de: Sie sind Theologe und Sozialethiker. Gibt es ein Menschenrecht auf Sterbehilfe? Wäre das aus theologischer Sicht zu rechtfertigen?
Dr. Elmar Nass: Aus einer theologischen Sicht, die nun einmal die Existenz Gottes voraussetzt, ist ein solches Recht kategorisch abzulehnen. In der Bibel gibt es keine Stelle, wo Jesus Kranken oder Sterbenden Menschen empfohlen oder geholfen hat zu sterben. Er hat sogar Menschen gerettet aus dem Sterben heraus, oder er hat zumindest dazu aufgerufen, diesen Menschen zu helfen Und ich glaube deshalb, dass es unsere christliche Pflicht ist, den Menschen im Zustand des Sterbens beizustehen, statt auf eine billige allzu einfache Lösung zu schauen, die letztlich das Sterben ökonomischen Interessen unterwirft.
domradio.de: Nach dem Gesetzentwurf von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sollen aber Angehörige, Freunde oder nahestehende Personen sich nicht strafbar machen, wenn sie einem Menschen beim Sterben helfen. Das können auch ein Arzt oder eine Pflegekraft sein, der oder die den Sterbewilligen schon lange und gut kennen. Was halten sie von einem so gefassten Gesetzentwurf?
Dr. Elmar Nass: Das hört sich ja erst einmal recht plausibel an. Wir müssen aber auch immer danach fragen, auch abgesehen von dem tragischen Einzelfall, was für ein Geist damit letztlich in unserer Gesellschaft gefördert wird. Wenn es zum Beispiel um einen schwer behinderten Menschen geht, und die nahen Angehörigen sollen darüber entscheiden, ob man ihn töten soll oder nicht. Woher nehmen wir uns dieses Recht, ein bestimmtes Leben als nicht mehr lebenswert zu beurteilen? Ein ganz anderes Beispiel: Ich war neulich in einem Kinderhaus und habe gesehen, dass da schwer behinderte Menschen leben, die auch Lebensfreude ausstrahlen. Es ist ein Dammbruch, wenn wir uns anmaßen, selber über das Leben anderer zu urteilen. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung, die gerade auch die Rechte und Anerkennung von Behinderten in unserer Gesellschaft unterminiert.
domradio.de: Welche Bürde kommt da auf die Angehörigen, Freunde oder nahestehenden Personen zu, die da genannt sind?
Dr. Elmar Nass: Letztlich ist es ihnen dann überlassen über Leben und Tod zu entscheiden. Es wird ihnen quasi nahe gelegt, dass sie eine Verantwortung haben ganz alleine, und sich gar nicht mehr um andere Dinge zu scheren brauchen. D.h. sie müssen am Ende ausdiskutieren und einen Konsens finden über Leben und Tod. Aber Konsens aus der Diskussion ist nicht immer das, was zum Wahren und Guten führt, das lernen wir in der Politik, im Privaten. Da setzt sich oft die bessere Rhetorik durch und nicht das, was wirklich gut ist für den Menschen. Das halte ich für ganz gefährlich, weil es da nicht immer um das Wohl des Menschen geht.
domradio.de: Die Koalition will zumindest die gewerbsmäßige Sterbehilfe verbieten. Gehen sie davon aus, dass dieses Gesetz geeignet, ist, gewerbliche Suizidbeihilfe zu vermeiden?
Dr. Elmar Nass: Natürlich ist aus christlicher Sicht diese gewerbsmäßige Beihilfe zu verurteilen. Ich glaube vielmehr, dass mit dem jetzigen Schritt wieder ein weiteres Tor geöffnet wird, Euthanasie zu legalisieren und aus einem Tabu herauszuholen. Ich fürchte, dass wir uns weiter in die Richtung bewegen, alles zu öffnen und letztlich menschliches Leben nicht mehr unter einem Würdeschutz gestellt wird.
Das Interview führte Monika Weiß.
Hintergrund
Der Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur Sterbehilfe sorgt auch in deren eigener Partei für Diskussionen. "Wer bestraft wird und wer nicht, das müssen wir noch genauer klären", sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Ackermann in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag). Es müsse deutlicher werden, wer eine dem Suizidwilligen "nahe stehende Person" sei, so der Obmann im Gesundheitsausschuss. "Aus meiner Sicht kann das nur der Betroffene selbst vorher schriftlich verfügen."
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die kommerzielle Sterbehilfe in Deutschland zu verbieten. Laut Medienberichten sieht er überdies vor, dass die Beihilfe zum Suizid außer für Angehörige und Freunde des Todkranken auch für ihm "nahestehende" Ärzte und Pfleger straffrei bleiben soll. Entscheidend sei, ob sie zu dem Patienten eine "über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung" gehabt hätten.
Auch die SPD begrüßt den Entwurf im Grundsatz, sieht aber ebenfalls Nachbesserungsbedarf. Die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Sterbehilfe konkreter zu fassen, sei vernünftig, sagte der Rechts- und Gesundheitsexperte Edgar Franke der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Auch halte er es für sinnvoll, dass außer Angehörigen auch Pflegekräfte und enge Freunde - "in besonderen Ausnahmefällen" - straffrei bleiben sollten, "wenn Sie einem unheilbar Kranken auf ausdrücklichen Wunsch helfen".
Als problematisch bezeichnete der SPD-Politiker eine mögliche Ausdehnung der Straffreiheit bei Sterbehilfehandlungen von Ärzten, die eine länger andauernde Beziehung zu den Betroffenen hätten. "Diese Differenzierung ist in der Praxis nur schwer möglich, zumal das Berufsrecht der Ärzte die aktive Sterbehilfe bisher eindeutig verbietet."
Unterschiedliche Signale kommen aus der Union. Der CDU-Politiker Günter Krings betonte, dass der Gesetzentwurf nachgebessert werden müsse. So fehle ein Werbeverbot für Sterbehelfer, sagte Krings der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Leutheusser-Schnarrenberger habe bislang nur eine "Teilerfüllung" der Koalitionsabsprache zum Thema Sterbehilfe geliefert.
Vertreter aus der CSU stellten das Papier aus dem Bundesjustizministerium grundsätzlich infrage und übten scharfe Kritik. Der Abgeordnete Johannes Singhammer forderte, den Entwurf schnellstens wieder fallen zu lassen. Er könne ein "Dammbruch hin zur aktiven Sterbehilfe" sein, warnte er in der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag). Ähnlich äußerte sich sein Parteikollege Norbert Geis in der "Bild"-Zeitung (Donnerstag). "Dieses Gesetz bringt unser gesamtes Rechtsgefüge durcheinander, in dem das Recht auf Leben zu den höchsten Gütern gehört und für niemanden verfügbar sein darf", so der Sozialpolitiker. (kna)