DOMRADIO.DE: Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Wie ist es möglich, dass die Altersarmut immer mehr ein Thema bei uns wird?
Prof. Dr. Werner Schönig (Professor für Sozialökonomik und Konzepte der Sozialen Arbeit an der Katholischen Hochschule NRW): Wir werden uns dran gewöhnen müssen, dass von Zeit zu Zeit diese Berichte kommen. Auch daran, dass die Zahlen noch eine Zeit lang steigen werden. Der Hauptgrund ist natürlich: Die Gruppe derjenigen, die jetzt in die Rente hineinwächst, wenn die einen höheren Anteil von Geringverdienern haben – das sind auch Personen, die während ihrer Erwerbsbiografie in den 80er, 90er Jahren häufiger arbeitslos waren, die hatten zum Teil Erziehungszeit – haben dann weniger in die Rente eingezahlt.
Und wir haben natürlich auch seit 2005 eine Absenkung des Rentenniveaus. Das war die Regierung Schröder, die damals auf die Riesterrente umgeschwenkt hat. Da sollte man privat vorsorgen und gleichzeitig wurde die gesetzliche Rente runtergefahren. Und diese Absenkung der Rente, die haben wir jetzt immer noch Jahr für Jahr.
DOMRADIO.DE: Das heißt, insofern ist das in unserem sozialpolitischen System so angelegt?
Schönig: In zweifacher Hinsicht: Zum einen ist die gesetzliche Rentenversicherung nicht armutsfest. Das war auch von Anfang an nicht ihre Intention, sondern die ist dafür da, den Arbeitnehmern eine Rente zu zahlen, die den Beiträgen entspricht, die sie geleistet haben, wie eine normale Rentenversicherung auch, nur halt mit einem sozialen Touch.
Aber ihre primäre Aufgabe ist nicht die Verhinderung von Armut. Das passiert dann in der Sozialhilfe. Und der andere Punkt ist eben, dass man das Sicherheitsniveau dieser Rente runtergefahren hat mit Blick auf die Demografie. Aber auch, weil das Geld dann eher in die Riesterrente gepackt werden sollte. Das hat leider nicht besonders gut funktioniert.
DOMRADIO.DE: Gut 1.100 € sind wirklich nicht viel Geld. Besonders dann nicht, wenn man dafür ein ganzes Berufsleben lang geschuftet hat. Sie sagten, in den Jahrgängen, die jetzt in Rente sind, gab es auch Arbeitslosigkeitsphasen zwischendurch, aber trotzdem haben ja die meisten Leute viel gearbeitet. Jetzt kommen noch Inflation und gestiegene Energiepreise dazu. Wie kann man da umgehen mit der Frage nach der Motivation? Wozu soll ich denn jeden Tag zur Arbeit gehen?
Schönig: Ich habe da jetzt auch keine keine einfache Antwort. Auch meine Studierenden glauben zum Beispiel nicht, dass die gesetzliche Rentenversicherung sie für alle Zeiten sichert. Sie ist eben und soll ja auch heute sein ein Element der Alterssicherung. Da soll man dann gleichzeitig noch ansparen und so weiter. Und die Personengruppen, die das nicht können, die haben dann nur noch die Rentenversicherung und das wird dann zu wenig.
DOMRADIO.DE: Über welche Menschen sprechen wir? Wen betrifft die Altersarmut jetzt aktuell vor allem?
Schönig: Es gibt zwei bis drei Gruppen. Das eine sind Frauen, die über längere Zeit nicht oder dann halbtags erwerbstätig waren und also weniger eingezahlt haben. Zum Teil ist das ja durch Gesetzesreformen aufgefangen worden, denken Sie an Andrea Nahles' Mütterrente. Da ist ein bisschen was passiert, aber das waren auch keine riesigen Beträge, die dazukamen.
Dann haben wir natürlich Personen, die zugewandert sind und die hier im Arbeitsmarkt nicht richtig oder nicht auf ihrem alten Qualifikationsniveau angekommen sind. Die haben also eine Zäsur in ihrer Erwerbsbiografie. Und dann haben wir einfach Menschen, die gering qualifiziert sind und immer gering verdient haben. Dieses Rentenniveau soll eigentlich diejenigen sichern, die 40 Jahre in Höhe des Durchschnittseinkommens verdient haben. Und für alle, die darunter liegen, ist die gesetzliche Rente nicht mehr sehr gut.
DOMRADIO.DE: Sie arbeiten an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen im Fachbereich Sozialwesen. Besprechen Sie mit Ihren Studierenden da eigentlich auch Fragen wie: Wie kann ich in meiner Arbeit mit diesen Menschen umgehen, die offensichtlich von Altersarmut betroffen sind?
Schönig: Ja, auf jeden Fall. Für die Studierenden der Sozialen Arbeit ist das natürlich ein Kernthema. Die Betreuung dieser betroffenen Personen wird im Allgemeinen vom sozialen Dienst übernommen. Der ist größtenteils städtisch. Aber auch einige Wohlfahrtsverbände machen das. Und da muss man sich dann die einzelnen Fälle und die Bedarfslagen sehr genau angucken. Dafür sensibilisieren wir die Studierenden.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.