Sozialpsychologe zur Trauerfeier

"Identifikation mit dem großen Ganzen" kann helfen

Eine nationale Trauerfeier für die Germanwings-Absturzopfer - ist das eine gute Idee? Durchaus, meint der Psychologe Immo Fritsche im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Autor/in:
Christoph Driessen
Trauer nach der Flugzeugkatastrophe (dpa)
Trauer nach der Flugzeugkatastrophe / ( dpa )

Deutsche Presse-Agentur (dpa): Kann eine solche nationale Trauerfeier den Angehörigen wirklich helfen?

Immo Fritsche: Ja, die Idee dahinter ist, Gemeinschaft zu schaffen in Zeiten von Bedrohung. Die Identifikation mit einem größeren Ganzen hilft Menschen in der Regel dabei, mit Bedrohung besser umzugehen.

dpa: Warum ist das so?

Fritsche: Es geht in diesem Fall ja um Kontrollverlust. Wir Menschen sind darauf angewiesen, eine gewisse Kontrolle über unsere Umwelt wahrzunehmen. Zum Beispiel, dass wir ein Flugzeug besteigen können, ohne befürchten zu müssen, dass es abstürzt. Hier kann Gemeinschaft helfen. Es gibt Studien, die zeigen: Wenn Menschen an persönliche Hilflosigkeit erinnert werden, betonen sie die Zugehörigkeit zu Gruppen stärker, auch zu großen Gruppen wie Nationen.

dpa: Aber warum sollte es mir helfen, mich als Teil einer Nation zu fühlen, wenn ich zum Beispiel mein Kind verloren habe?

Fritsche: Der Tod stellt natürlich immer eine denkbar große Herausforderung dar. Er bedeutet, dass die eigene Existenz endlich ist, und darauf ist unser mentaler Apparat nicht eingestellt. Bestimmte Mechanismen helfen uns dabei, das auszuhalten. Ein ganz wichtiger Mechanismus ist, die eigene Existenz symbolisch über das eigene Leben hinaus zu verlängern. Indem ich mich als Teil eines großen Ganzen begreife, das nicht verschwindet, wenn der Einzelne verschwindet. Dieses große Ganze kann eine Nation, eine Kultur oder auch eine Religion sein.

dpa: Aber ist es nicht schwierig, wenn man nun als Angehöriger an einem Gottesdienst teilnehmen soll und vielleicht gar nicht gläubig ist?

Fritsche: Sicherlich, das kann ein Problem sein. Nicht jeder kann sich mit jedem Kollektiv identifizieren. Aber hier geht es ja um einen überkonfessionellen Gottesdienst und um einen anschließenden staatlichen Trauerakt.

dpa: Besteht nicht die Gefahr, dass die Angehörigen hinterher erst recht in ein schwarzes Loch fallen, wenn die ganze öffentliche Aufmerksamkeit weg ist?

Fritsche: Die Erinnerungen bleiben ja. Man erinnert sich daran, wie andere reagiert haben, dass sie den schwerwiegenden Verlust anerkannt haben, dass sie deutlich gemacht haben: Hier sind wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft von uns gegangen. Das wird durch einen solchen Gottesdienst und Trauerakt gezeigt. Und das kann Angehörige auch längerfristig stützen.

Immo Fritsche ist Professor für Sozialpsychologie an der Universität Leipzig und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. In seiner Forschung befasst er sich mit Gruppenprozessen und den psychologischen Auswirkungen von Bedrohung.


Sozialpsychologe Immo Fritsche / © Fritsche/privat
Sozialpsychologe Immo Fritsche / © Fritsche/privat
Quelle:
dpa